Julia Extra Band 0328
gleichzeitig sein Glas. „Auf dein Wohl, meine Liebe.“
„Auf Ihr Wohl, Hattie“, wiederholte Sally.
„Und auf Ihres.“ Die alte Dame nahm einen kräftigen Schluck, dann deutete sie mit dem Glas nach den Rosen. „Sind sie nicht wunderschön, Sally?“
„Traumhaft.“
„Wussten Sie, dass Logan mir jede Woche einen Strauß bringt?“
„Nein“, log sie. „Das finde ich sehr aufmerksam.“
„Aber auch sehr verschwenderisch.“ Hattie lehnte sich vor. „Der liebe Junge. Als er und seine Schwester klein waren und mich besuchen kamen, spielten sie immer in meinem Garten, wo ich unter anderem auch weiße Rosen züchtete. Der wöchentliche Strauß bringt für uns beide glückliche Erinnerungen zurück.“
Einen Moment lang sah Sally Logan als kleinen Jungen vor sich, in Shorts und mit schmutzigen Knien. Jetzt war er ein gepflegter und erfolgreicher Geschäftsmann, der seiner Großmama immer noch Blumen schenkte. Wie viele Männer gab es schon, die so etwas taten?
Sie wechselte das Thema. „Ihr Enkel sagt, dass Sie früher Konzertpianistin waren.“
„Allerdings.“ Traurig betrachtete Hattie ihre gichtkranken Hände. „Mit dem Klavierspielen ist es leider vorbei.“
„Sally liebt Brahms, Großmutter“, sagte Logan.
„Wirklich? Wie schön, meine Liebe.“
„Ich … ich verstehe nicht viel von klassischer Musik“, protestierte Sally verlegen.
„Das macht nichts, mein Enkel kann Sie einführen. Sie bringen ihm Tanzen bei und er Ihnen die Grundbegriffe klassischer Musik.“
„Das war nicht fair“, bemerkte Sally auf der Fahrt ins Restaurant. Sie waren spät dran, weshalb er ziemlich schnell fuhr. „Sie hätten mir sagen können, dass Sie die Rosen Ihrer Großmutter bringen. Im Büro glaubt jeder, sie sind für Ihre Freundin.“
„Jeder!“
„Zumindest die meisten.“
„Dann haben meine Angestellten ein falsches Bild von mir. Für romantische Gesten hatte ich noch nie viel übrig, und die Damen aus meinem Bekanntenkreis wissen das auch.“
„Sie hätten dem Gerücht ja ein Ende machen können, anstatt Ihr Personal in dem Irrglauben zu belassen.“
„Schauen Sie mich nicht so vorwurfsvoll an, Sally. Als Chef habe ich mit … nun ja, mit Büroklatsch nichts zu tun. Davon ganz abgesehen …“, er zwinkerte, „… warum sollte ich ihnen ihre Illusionen über mich rauben?“ Er wurde wieder ernst. „Dass meine Großmutter in einem Pflegeheim lebt und ich ihr Rosen bringe, ist eine Angelegenheit, die nur sie und mich etwas angeht, finden Sie nicht auch?“
„Warum wollten Sie dann, dass ich Sie begleite?“
Logan wünschte, er wüsste die Antwort auf ihre Frage. Sally und Hattie miteinander bekannt zu machen war eine spontane Entscheidung gewesen, obwohl spontane Entscheidungen nicht zu seinen Gewohnheiten gehörten. Zumindest war das der Fall gewesen, bevor Sally Finch in sein Leben trat. „Ich dachte, dass Hattie und Sie sich gut verstehen würden“, erwiderte er wahrheitsgemäß.
„Das haben wir auch, sie ist ein Schatz. Ein Grund mehr, ihr gegenüber ehrlich zu sein. Es wäre mir äußerst unangenehm, wenn sie uns für ein … für ein Paar halten würde.“
Natürlich hatte sie damit recht, und im Nachhinein bedauerte er die unüberlegte Handlung. Er hätte sich denken können, dass Hattie auf die falsche Gedanken kommen würde. Aber das Einzige, woran er gedacht hatte, war, ihr ein wenig Abwechslung zu verschaffen. Und Sally – freundlich, offen und natürlich – war dafür genau die richtige Person.
Einer kultivierten und aufgeschlossenen alten Dame wie seiner Großmutter musste es schwerfallen, den Lebensabend in einem Pflegeheim zu verbringen. Aber da sie nicht mehr allein leben konnte, bot sich keine andere Alternative. Logans Eltern – Hatties Tochter und Schwiegersohn – reisten in einem Wohnmobil quer durch Australien, und Großmama weigerte sich, ihm oder Carissa zur Last zu fallen.
Dennoch war es eine Schnapsidee gewesen, Sally herzubringen.
„Es tut mir leid, dass ich Sie in Verlegenheit gebracht habe“, sagte er reumütig. „Ich verspreche Ihnen, dass ich das Missverständnis klären werde.“
Statt einer Antwort verschränkte sie die Arme und schlug die schlanken Beine übereinander, wobei der kurze Rock noch höher rutschte. Logan riskierte einen Seitenblick, bevor er sich vorsichtshalber wieder dem Straßenverkehr zuwandte.
Sie aßen in seinem Lieblingsrestaurant unten am Hafen. Der Maître d’hôtel Marco begrüßte Logan wie einen guten
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