Julia Extra Band 0331
Haar. „Hör zu, ich brauche dringend eine heiße Dusche, und da ich nicht annehme, dass du mir dabei Gesellschaft leisten willst, solltest du jetzt vielleicht hinausgehen.“
„Fahr zur Hölle, Rodrigo!“
„Denkst du, dort bin ich noch nicht gewesen, querida ? “, fragte er sie leise.
Ärger, Schmerz und Bedauern stürmten gleichzeitig auf Jenny ein. „Wann sollte das wohl gewesen sein“, erkundigte sie sich höhnisch. „Als dir eins deiner vielen Millionengeschäfte durch die Lappen gegangen ist? Falls dir so etwas je passiert ist, was ich stark bezweifle, muss es ein echter Tiefpunkt für dich gewesen sein.“
Unvermittelt verhärteten sich Rodrigos Züge. „Was für eine schmeichelhafte Meinung du doch über mich hast, Jenny. Du glaubst anscheinend, dass mich nichts interessiert, außer Geld zu machen?“
Die Hand schon um den Türknauf geschlossen, erwiderte Jenny standhaft seinen Blick. „Das glaube ich keineswegs. Ich weiß es.“ Nur zu gern hätte sie die Tür mit einem befreienden Knall hinter sich zugeschlagen, aber ihre gute Erziehung verbot es ihr. „Du findest mich unten in der Küche“, informierte sie ihn stattdessen. „Ich mache dir einen Kaffee und etwas zu essen.“
„Jenny?“
„Ja?“
„Nichts … Wir können später reden.“
Da ihr keine passende Antwort einfiel und ihr überdies die Tränen gefährlich locker saßen, verließ Jenny wortlos das Zimmer. Auf dem Flur blieb sie für einen Moment stehen und atmete mehrmals tief durch. Es war jetzt mehr als zwei Jahre her, dass sie Rodrigo das letzte Mal gesehen hatte. Gegen jede Vernunft hatte sie wieder und wieder gehofft, dass er sie anrufen oder auf irgendeine andere Art mit ihr in Kontakt treten würde. Dass er ihr gestehen würde, wie sehr er es bereute, sie um die Scheidung gebeten zu haben, und dass er sie zurückhaben wollte. Aber er hatte es nie getan.
Als Jenny von Barcelona wieder nach England zurückgekehrt war, hatten all ihre Freundinnen sie beschworen, keinen Gedanken mehr an Rodrigo zu verschwenden. Wenn diesem Egozentriker nicht klar sei, was für einen Schatz er so leichtfertig aufgegeben hatte, dann habe er Jenny auch nicht verdient, war ihre einhellige Meinung. Sie solle ihn so schnell wie möglich vergessen und sich stattdessen ein schönes Leben mit der fürstlichen Abfindung machen, die er ihr nach der Scheidung hatte zukommen lassen.
Ein netter Ratschlag, aber ebenso gut hätten sie Jenny vorschlagen können, nicht mehr zu atmen. Ihre Gedanken hatten sich schlichtweg geweigert, sich mit etwas anderem zu beschäftigen als mit Rodrigo. Der Schmerz, ihn verloren zu haben, wollte einfach nicht weniger werden. Nur der schiere Überlebenswille hatte ihr schließlich die Kraft gegeben, das Studio für Inneneinrichtungen wiederzubeleben, dass sie vor ihrer Ehe in London geführt hatte.
Und nun war er wie aus dem Nichts wieder aufgetaucht!
Wie gern hätte Jenny sich ihm als selbstbewusste Karrierefrau präsentiert, die die Vergangenheit für immer hinter sich gelassen hatte und nun ein abwechslungsreiches, rundum befriedigendes Leben führte.
Doch leider konnte davon keine Rede sein.
Um die plötzlich aufsteigenden Tränen zu unterdrücken, biss Jenny sich fest auf die Lippen und ging hinunter in die Halle. Ein weiterer Blitz erhellte das Haus, kurz darauf begannen sämtliche Lampen heftig zu flackern. Beinah hätte Jenny laut aufgeschrien, als sie etwas Weiches an ihrem Knöchel spürte, doch dann sah sie, dass es Lilys Katze war, die sichtlich verstört zu ihr aufblickte.
„Hast du Angst vor dem Gewitter, Cozette?“ Liebevoll hob Jenny das leicht übergewichtige Tier hoch und drückte sich das warme Bündel an die Brust. „Arme kleine Katze. Wir gehen jetzt in die Küche, und dann sehe ich mal nach, ob ich nicht ein leckeres kleines Trostpflaster für dich finde …“
Rodrigo packte seinen Laptop aus und fragte sich, ob man in Cornwall überhaupt schon wusste, dass es so etwas wie das Internet gab. Als er von unten eine Stimme hörte, hielt er unvermittelt inne. Ganz still stand er da und lauschte dem verführerischen Singsang, der, wie er rasch schlussfolgerte, Lilys Katze gelten musste.
Schon bei ihrer ersten Begegnung war er von Jennys Stimme wie hypnotisiert gewesen. Ihr samtiger Klang in Verbindung mit dem kultivierten britischen Akzent hatte wie ein Aphrodisiakum auf ihn gewirkt. Und jetzt, mehr als drei Jahre später, stellte er fest, dass sich daran bis heute nichts geändert
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