Julia Extra Band 0339
geben. Ihr erster Versuch war gescheitert, aber dieses Mal würde sie sich nicht wieder den Boden unter den Füßen wegreißen lassen.
Sie straffte die Schultern, ging zur Tür und öffnete sie.
„Hi, Morgan.“
„Nate.“
Er verschlang sie förmlich mit den Augen wie ein Verdurstender, der eine endlose Wüste durchquert hatte und ein Glas kühles, frisches Wasser sah. Für einen winzigen Moment löste sich sein Blick von ihrem Gesicht, fiel auf ihren Koffer und kehrte zu ihr zurück.
„Du hast also doch noch beschlossen, Weihnachten bei deiner Familie zu verbringen?“
„Ja.“
Etwas in ihrer Stimme ließ Nate aufhorchen. Ohne auf eine Einladung zu warten, ging er an ihr vorbei ins Wohnzimmer. „Was ist mit dem Christbaum passiert?“, fragte er stirnrunzelnd.
„Ich dachte, es wäre besser, ihn abzubauen. Ich wollte nicht einen Berg von Tannennadeln auf dem Boden vorfinden, wenn ich zurückkomme.“
Er musterte wortlos die ordentlich an der Wand gestapelten Kartons.
Morgan schwieg ebenfalls.
„Du kommst nicht zurück, stimmt’s?“, fragte er in die angespannte Stille hinein.
Sie konnte ihn nicht ansehen. Angestrengt blickte sie auf ihre Schuhe, die allmählich hinter einem Tränenschleier verschwammen. Ein Männerstiefel bewegte sich in ihr Blickfeld. Ein Finger legte sich unter ihr Kinn und hob es an.
„Du kannst nicht gehen“, sagte Nate heiser. „Wir haben doch gerade erst angefangen.“ Er stellte ein in zerknülltes Papier gewickeltes Paket auf dem Boden ab, zog seine Jacke aus und hängte sie an einen der Kleiderhaken.
Morgan spürte ein heftiges Flattern im Bauch. Ihre Beine fühlten sich wie Watte an. „Wusstest du, dass es Kulturen gibt, in denen die Menschen keine Beziehungen führen?“, fragte sie ihn mit zittriger Stimme.
Nate verschränkte die Arme vor der Brust und erwiderte schweigend ihren Blick.
„In einigen skandinavischen Ländern wie Dänemark oder Island verzichten viele Frauen bewusst auf die Ehe. Sie bekommen natürlich noch Kinder, aber sie belasten sich nicht mit dem ganzen unliebsamen Drumherum.“
„Du meinst Männer?“ Es war eher eine Feststellung als eine Frage.
Sie antwortete nicht.
Nate ließ sich ihre Worte einen Moment lang durch den Kopf gehen. „Vielleicht wäre es wirklich vernünftig, sich nicht mit uns zu belasten“, räumte er schließlich ein. „Schließlich sind wir ein ziemlich unausstehliches Pack. Ich frage mich nur, wer dann für euch die Kleiderhaken aufhängt.“
„Ich bin sicher, dass sich einige von euch als Leiharbeiter zur Verfügung stellen würden.“
„Gilt das auch für das Aufstellen von Christbäumen?“
„Ich denke schon.“
„Und wem bringt ihr bei, wie man Kekse backt?“
„Unseren Kindern.“
„Verstehe. Wie finden sie es eigentlich, dass ihr ihnen die Widrigkeit erspart, sich mit ihren Vätern herumzuschlagen?“
„Keine Ahnung“, stieß Morgan gereizt hervor. „Ich weiß nichts über skandinavische Kinder.“
Nate kam einen Schritt näher. „Und was ist mit den skandinavischen Frauen? Wer hält sie nachts im Arm? Mit wem lachen sie? Wen küssen sie? Wer verscheucht ihre Einsamkeit? Wer lässt die Sonne wieder herauskommen, wenn es regnet?“
„Du kannst die Sonne nicht herauskommen lassen, wenn es regnet.“
Verflixt, sie hatten doch gar nicht über ihn gesprochen, sondern ganz im Allgemeinen. Oder etwa nicht?
Er machte noch einen Schritt auf sie zu. „Teste mich“, forderte er sie heraus.
„Im Moment regnet es nicht.“
„In meiner Welt tut es das, Morgan. Und das liegt daran, dass du weggehen willst.“
Ohne Vorwarnung überbrückte er auch noch die letzte Distanz zwischen ihnen und küsste sie so innig und hingebungsvoll, dass Morgans Vorsätze sich erneut in Luft aufzulösen drohten. Werd jetzt bloß nicht schwach, befahl sie sich panisch. Aber kaum hatten Nates Lippen ihre berührt, wurde ihr einmal mehr klar, was sie wirklich wollte.
„Also für mich funktioniert es“, murmelte er dicht an ihrem Mund. „Die Sonne ist herausgekommen, und ich weiß wovon ich rede. Schließlich habe ich lange genug ohne sie gelebt.“
Bevor Morgan etwas dazu sagen konnte, küsste er sie wieder. „Ich war verheiratet, und ich war Single …“ Seine Stimme umschmeichelte sie wie dunkler Samt. „Glaub mir, Morgan, eine gute Ehe ist die bessere Wahl. Du lebst mit deinem besten Freund und bist nie wieder einsam.“
Sie spürte, wie tief in ihr etwas zur Ruhe kam und danach verlangte, sich mit ihm
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