Julia Extra Band 0339
um stimmungsvolle Momentaufnahmen einzufangen, die während der Fernsehübertragung die Werbeblocks auflockern sollten. Anfangs machte es einige der Anwesenden nervös, aber nach kurzer Zeit nahm niemand mehr Notiz davon.
Der Hauptakteur des Abends stellte den denkbar größten Gegensatz zu seiner Frau dar. Wesley Wellhaven wirkte scheu, beinah ängstlich, und er sprach so leise, dass Morgan sich unwillkürlich fragte, ob es sich tatsächlich um den Mann handelte, der mit seinem gewaltigen Stimmvolumen die ganze Welt begeistert hatte.
„Diese Frage kann dir sicher das Köpfchen des Ganzen beantworten“, meinte Nate, als Morgan ihm ihre Bedenken ins Ohr flüsterte.
Und dann lachten sie gemeinsam, wie so oft in der letzten Zeit, und Morgan beobachtete, wie die harten Linien nach und nach von Nates Gesicht verschwanden.
„Was schaust du mich so an?“, wollte er wissen, als er ihren Blick bemerkte.
„Einfach so. Du bist ein attraktiver Mann, Nate.“
„Hör auf, sonst werde ich noch rot“, wehrte er mit gespielter Bescheidenheit ab, bevor er sich blitzschnell vorbeugte und ihr einen Kuss stahl.
Morgan wusste, dass seine lockere Art, ihr seine Zuneigung zu zeigen, zum größten Teil für den Zauber dieses Abends verantwortlich war. Das riesige Feuer, das neben dem zugefrorenen Teich brannte, die Kessel voller heißer Schokolade, die unzähligen Weihnachtskekse und anderen Leckereien, unter denen sich die von freiwilligen Helfern herbeigeschafften Tische bogen – all das war nur der Hintergrund für den Film, der sich in ihrem Innern abspielte.
Sie und Nate waren ein Paar! Alle hier wussten es und schienen es gutzuheißen. Morgan erkannte es an dem verschmitzten Augenzwinkern und dem wohlwollenden Lächeln, mit dem beinah jeder, der an ihnen vorbeikam, sie bedachte. Und Nate schien stolz darauf zu sein. Stolz auf sie .
Ein warmes Gefühl von Zugehörigkeit durchströmte Morgan. Nicht nur zu Nate, sondern zu der ganzen Gemeinschaft, die hier zusammengekommen war. Die Kinder kurvten übermütig kreischend auf ihren Schlittschuhen herum, improvisierten alle möglichen Spiele, und jedes Mal schien Ace im Zentrum des Geschehens zu stehen.
Nates Augen folgten eine Weile seiner Tochter, dann legte er Morgan den Arm um die Schulter und drückte sie kurz an sich. „Sie haben ein Wunder vollbracht, Mrs McGuire“, stellte er fest. „Ace ist so glücklich wie seit einer Ewigkeit nicht mehr, und dabei dachte ich, dass wir nie wieder ein unbeschwertes Weihnachten erleben würden.“
Als die Party allmählich ihrem Ende entgegenging, machte Wesley Wellhaven allen Zweifeln bezüglich seiner Stimme ein Ende. Ohne Vorankündigung oder sonstiges Brimborium wandte er sich den Menschen auf dem Teich zu und fing an zu singen.
Stille Nacht, heilige Nacht. Alles schläft, einsam wacht …
Nach und nach wurde es still. Alle kamen übers Eis zu der Stelle, wo dieser unscheinbare, schüchterne Mann mit geschlossenen Augen vor dem Feuer stand und weit mehr als nur seine Stimme aus sich herausströmen ließ.
Es war einer jener Momente, in denen man jedes Zeitgefühl verlor. Ein Moment, der aus sich selbst heraus zu leuchten schien.
Wesley sang das älteste aller Weihnachtslieder, aber jeder der Anwesenden hatte das Gefühl, es zum ersten Mal zu hören. Als der letzte Ton verklungen war, standen die Menschen von Canterbury reglos in der Stille, die seine fast unwirklich schöne Stimme hinterlassen hatte. Morgan blickte zu den blinkenden Sternen am schwarzen Nachthimmel auf und wusste, dass sie mehr empfand als nur Zugehörigkeit. Sie sah den Mann neben ihr an, dessen ausdrucksvolles Gesicht im flackernden Schein des Feuers anrührend verletzlich wirkte, und erkannte, dass es Liebe war, was sie fühlte.
Erschreckende, elektrisierende, tröstende, besänftigende, atemlose Liebe.
Wesley ließ die Stille anhalten, damit sie alle Herzen mit Frieden erfüllte, aber nach einem unauffälligen Rippenstoß seitens seiner Frau räusperte er sich und ergriff das Wort.
„Ich habe eine Ankündigung zu machen, auf die viele von Ihnen gewartet haben“, begann er, sichtlich verlegen, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. „Meine Frau und ich haben heute entschieden, welches Kind das Schlusslied des Konzertes singen wird. Ein Lied mit dem Titel ‚Engel der Hoffnung‘.“
Morgan wusste, dass es nicht richtig war, einem Kind stärker die Daumen zu drücken als den anderen. Ebenso wusste sie, dass ein bestimmtes Kind ein Wunder
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