Julia Extra Band 0342
wenn du das machst, als wenn ich es tue.“
„Weil ich nicht zur Familie gehöre?“
Grace errötete. „Ihr beide seid Freunde seit dem Kindergarten. Also gehörst du doch irgendwie zur Familie. Und wie gesagt – als Deirdre gestern von der Postkarte erfuhr, hat sie sehr merkwürdig reagiert. Um sie zu beruhigen, habe ich ihr versprochen, keinen Kontakt mehr zu Jayne zu haben. Wenn hingegen du sie siehst, hat Deirdre kein Problem damit. Jeder weiß schließlich, dass du Jayne nicht besonders magst.“
Wenn Grace wüsste! Aber sie war nicht die Einzige, die keine Ahnung hatte, was er wirklich für Jayne empfand. „Sie und Rich waren einfach nicht füreinander geschaffen.“
Gedankenverloren schaute Grace in das Seifenwasser im Spülbecken. „Für Rich mag Jayne Vergangenheit sein, aber ich kann sie nicht so einfach vergessen.“
„Du hast sie doch gar nicht so lange gekannt.“
„Das spielt doch keine Rolle. Sie wäre beinahe meine Schwägerin und die Patentante meines Babys geworden. Sie hat mir bei der Renovierung des Kinderzimmers geholfen. Jedes Mal, wenn ich es betrete, muss ich an sie denken.“ Grace legte die Hand auf ihren Bauch. In ihren Augen lag ein bekümmerter Blick. „Und als ich Jayne gestern gesehen habe, schien sie …“
Tristan straffte die Schultern. „Was?“
„Nun ja, sie hat sich verändert“, fuhr Grace fort. „Sie ist dünner geworden. Das Haar hat sie geschnitten. Und sie sah sehr traurig aus. Aber das ist unter den gegebenen Umständen wohl normal. Schließlich liegt die Trennung noch nicht so lange zurück.“
Sieben Monate, eine Woche und vier Tage, überlegte Tristan.
„Es ist klar, dass das alles auf ihre Stimmung drückt. Deshalb mache ich mir ja Sorgen um sie.“ Grace zog die Augenbrauen zusammen. „Ihre Eltern sind tot. Sie hat keine Verwandten. Sie hat niemanden, der sich um sie kümmert – abgesehen von ihren drei besten Freundinnen. Und die wohnen inzwischen nicht mehr hier, wie ich gehört habe. Sie braucht jemanden. Aber so, wie die Dinge liegen, bin ich wohl kaum die Richtige dafür.“
Als Jugendlicher hatte Tristan sehr für Richs älteste Schwester geschwärmt. Doch in diesem Augenblick liebte er sie mehr, als er es als Teenager je getan hatte. Ihre Fürsorge war für ihn Grund genug, Jayne Cavendish wiederzusehen. Und das Beste war: Rich hatte auch nichts dagegen.
Tristan wollte herausfinden, ob er Jayne wirklich mochte oder ob er sie nur attraktiv fand, weil sie für ihn unerreichbar war. Er hielt die Karte in der Hand, als wäre sie ein Flugticket zu einem Traumziel. Wenn er sich da bloß nicht zu große Hoffnungen machte!
„Mach dir keine Sorgen.“ Er tätschelte Grace’ Schulter. „Heute Nachmittag bringe ich ihr die Karte zurück und schau nach, wie es ihr geht.“
„Danke.“ Grace umarmte ihn, so gut das mit ihrem Babybauch ging.
„Und falls du einen netten jungen Mann kennst, den du ihr vorstellen kannst …“
Tristan verspannte sich, als er sich Jayne mit einem seiner Freunde vorstellte. „Eins nach dem anderen, Grace.“
Zwei Stunden später bemerkte Tristan am Rand der Schnellstraße einen Streifenwagen sowie eine Radarpistole, die in seine Richtung zeigte. Er nahm den Fuß vom Gaspedal und trat auf die Bremse, sodass er weit unter dem Tempolimit an dem Polizeiauto vorbeirollte. Und wirklich: Die Beamten beachteten ihn gar nicht.
Gott sei Dank. Er wollte zwar so schnell wie möglich bei Jayne sein. Allerdings auch nicht so schnell, dass er dafür einen Strafzettel kassierte.
„Sie braucht jemanden“, hatte Grace gesagt. „Aber so, wie die Dinge liegen, bin ich wohl kaum die Richtige.“
Er war es streng genommen auch nicht. Doch nun war er auf dem Weg zu ihr. Und er erinnerte sich ganz deutlich an viele Einzelheiten: an den Hauch von Erdbeerduft, den Jaynes Haare verströmten, ihr perlendes Lachen, die Wärme ihrer Berührung. Nun gut, sie hatten sich erst einmal berührt – als sie sich kennengelernt und die Hand gereicht hatten. Bei ihrem Anblick war Tristan wie vom Donner gerührt gewesen: lange, kastanienbraune Haare, große blaue Augen, gerahmt von dichten Wimpern, ihre Haut cremefarben und seidenweich.
Zu dumm, dass Rich sie zuerst getroffen hatte!
2. KAPITEL
Bitte geh ran, bitte geh ran, bitte geh ran …
Es war Sonntagnachmittag. Jayne umklammerte den Telefonhörer fester. Sie musste unbedingt mit jemandem über ihr schreckliches Erlebnis am Tag zuvor im Tea House reden. Wo steckten bloß ihre
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