Julia Extra Band 0342
Einsamkeit machten die Menschen die sonderbarsten Dinge.
Sie unterdrückte einen Seufzer.
„Oder verpasst du irgendetwas?“, wollte Tristan wissen.
Nichts. Überhaupt nichts. Das Einzige, was sie möglicherweise verpasste, war die Aussicht auf einen unterhaltsamen Nachmittag.
Ihr Leben war eine triste Angelegenheit geworden. Sie verließ kaum noch das Haus, und wenn sie es tat, konnte sie es kaum erwarten zurückzukehren.
Genau wie ihre Mutter.
Der Gedanke ließ Jayne zusammenzucken.
Ihre Mutter hatte dauernd zu Hause gesessen, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte. Sie war nicht einmal zum Arzt gegangen, als es ihr schlecht ging, und deshalb war sie auch viel zu früh gestorben.
Das sollte Jayne auf keinen Fall passieren.
Etwas musste sich ändern. Sie musste sich ändern. Auf der Stelle.
Vielleicht würde eine Wanderung sie auf andere Gedanken bringen – ihr einen neuen Weg eröffnen, hin zu dem Leben, das sie leben wollte – weg von dem Leben, das sie führte. Selbst wenn Tristan – nach Rich – der letzte Mensch war, mit dem sie wandern wollte.
„Du hast recht“, sagte sie schließlich. „Eine Wanderung wird mir guttun.“
3. KAPITEL
„Ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchhalte“, japste Jayne.
Belustigt drehte Tristan sich zu ihr um. Er genoss den Nachmittag in ihrer Gesellschaft. Sie war so ganz anders als die Jayne, an die er sich erinnerte. Und sie begann ihn zu interessieren.
Müde, mit roten Wangen, erhitzt und verschwitzt war sie attraktiver als alle Frauen, mit denen er in letzter Zeit zu tun gehabt hatte.
„Wir sind fast am Strand“, tröstete er sie.
„Na gut. Bis dahin schaffe ich es noch“, keuchte sie. „Aber erst muss ich etwas trinken.“
Sie nahm einen Schluck aus ihrer Wasserflasche. Ein paar Tropfen liefen ihr über die Lippen, die sie mit ihrer Zungenspitze flink ableckte.
Ihre Schönheit fügte sich nahtlos in den herrlichen Nationalpark, der sie umgab. Sie trug Kaki-Shorts und Wanderschuhe. Ihre Beine waren lang und schlank, und die Haut schimmerte seidenmatt. Der Himmel ließ das Blau ihrer Augen noch strahlender scheinen. Um ihre Lippen spielte ein leises Lächeln.
Tristan steckte seine Wasserflasche weg und richtete die Kamera auf sie.
Jayne tat entsetzt. „Schon wieder?“
Nichts war mehr zu spüren von dem melancholischen Zug in ihrer Miene, den er im Haus an ihr bemerkt hatte. So gefiel sie ihm viel besser. „Ich will nur ein paar Erinnerungen festhalten.“
„Erinnerungen an eine Fremde?“
„Wir sind doch keine Fremden.“
„Aber auch keine Freunde.“
„Wir könnten Freunde werden“, gab er zurück.
„Warum bist du so nett zu mir?“ Es klang ein wenig misstrauisch.
Weil er sie mochte. Er wollte, dass auch sie ihn mochte. Doch dafür war es wohl noch zu früh.
Für sie war er immer noch Richs Trauzeuge. Richs bester Freund. Des Mannes, der sie schwer enttäuscht hatte.
„Du bist ja auch ein netter Mensch“, antwortete Tristan.
„Nett, ja?“
Er nickte.
„Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, hast du mich überhaupt nicht beachtet.“
Das wusste er nur zu gut. Er hatte sich ziemlich kühl verhalten. Vielleicht war es auch das schlechte Gewissen, das ihn Jayne gegenüber so zurückhaltend gemacht hatte. Denn er wusste viel früher als sie, dass Rich sie mit einer anderen Frau betrog. Rich hatte ihn beschworen, Jayne kein Wort zu sagen. Natürlich hatte er Rich versprochen zu schweigen. Er war schließlich sein bester Freund. Aber ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, dass Jayne, diese nette und arglose Person, hintergangen wurde – und er darüber Bescheid wusste. Deshalb hatte er es vermieden, ihr in die blauen Augen zu schauen.
„Das lag nicht an dir“, erwiderte Tristan schließlich. „Sondern an mir.“
Sie warf ihm ein schiefes Lächeln zu. „Das sagen die Jungs hinterher immer.“
Er wand sich. „Es tut mir leid.“
„Mir tut es leid, dass ich dich in Verlegenheit gebracht habe.“
„Halb so wild.“
Ihr Lächeln wurde breiter. Fasziniert schaute er sie an.
Sie konnte wirklich umwerfend lächeln. Rasch machte er noch ein Foto von ihr.
„Hör auf damit“, befahl sie streng, während sie versuchte, sich das Lachen zu verbeißen.
„Ich verdiene meinen Lebensunterhalt als Fotograf. Schon vergessen?“ Hoch über ihnen zog eine Möwe ihre Kreise. Ihre spitzen weißen Flügel zeichneten sich scharf gegen das Blau des Himmels ab. Tristan richtete seine Kamera auf den Vogel. „Das ist
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