Julia Extra Band 0342
eine Berufskrankheit.“
„Eine gefährliche. Manche Kulturvölker glauben, dass man ihnen die Seele stiehlt, wenn man sie fotografiert.“
„Ich bin kein Seelendieb“, protestierte er. „Mir geht es nur um das Bild. Die besten Fotos erzählen eine Geschichte und sagen mehr als tausend Worte.“
Sie trank einen Schluck aus ihrer Wasserflasche. „Das habe ich auch schon mal gehört.“
„Außerdem bin ich mit meiner Kamera verheiratet. Wo sie ist, bin auch ich. Und umgekehrt.“
„Klingt nach einer perfekten Beziehung.“
„Ist es auch“, gab er zu. „Meine Kamera ist schnell eingepackt, macht sich nicht im Bett breit und ist auch niemals sauer, wenn ich ihren Geburtstag vergesse.“
„Männer!“, sagte sie mit gespielter Verachtung.
Er machte eine Aufnahme von ihrem Profil. Sie seufzte.
„Noch ein letztes.“ Beide wussten, dass er log.
„Versprich mir, die schlechten Fotos zu löschen!“
Tristan tat unschuldig. „Du meinst, ich darf sie nicht ins Internet stellen?“
Sie schnitt eine Grimasse, und er musste lachen. „Ich lösche die schlechten. Großes Pfadfinderehrenwort.“
„Du und die Pfadfinder?“ Jayne schüttelte den Kopf. „Kann ich mir nicht vorstellen.“
„Ich war nicht lange bei den Pfadfindern“, gestand er. „Mich haben da vor allem die Mädchen interessiert. Mehr als Feuer machen und Erste Hilfe leisten. Immerhin haben mir die Orientierungsmärsche mein Überleben in Afghanistan gesichert. Es war also nicht ganz vergebens.“
„Du warst da drüben?“
Er nickte. „Und im Irak. Ich muss an die Front, um gute Bilder zu bekommen.“
Betroffen schaute sie in die Ferne.
Tristan blickte durch den Sucher seines Apparats und fokussierte die schroffen Hügel mit ihren Höhlen, Buckeln und jähen Einschnitten. Dahinter erstreckte sich das Meer bis zum Horizont.
„Ich habe gar nicht gewusst, dass die Küste so öde ist“, sagte sie.
„Und ich habe immer gedacht, dass alle, die in San Diego wohnen, schon mal hier gewesen sind.“
„Ich nicht. Obwohl ich schon zum zweiten Mal in San Diego wohne“, erklärte sie. „Beim ersten Mal war ich erst sechs. Da haben mich der Zoo und das Aquarium mehr interessiert.“
„Dann sollten wir jetzt mal zum Strand gehen“, schlug er vor.
Sie nickte.
„Geh du voraus“, forderte er sie auf.
Jayne ließ ihren Blick über den schmalen Trampelpfad wandern, der zwischen den Hügeln verschwand. „Ich nehme an, dass wir uns kaum verlaufen können, wenn der Strand unser Ziel ist.“
„Du hast recht. Das ist fast unmöglich.“
„Na gut. Dann wollen wir mal.“ Sie machte sich auf den Weg.
Er folgte ihr. Das Plätschern der Wellen, die an den Strand schlugen, wurde lauter.
„Ein fantastischer Anblick“, staunte sie.
Tristan stimmte ihr zu. Der Anblick ihres wohlgeformten Körpers war in der Tat fantastisch. Eine Familie – Vater, Mutter und drei kleine Kinder – kam ihnen entgegen. Die Kinder quengelten, der Vater war schweißgebadet, und die Mutter sah erschöpft aus.
Jayne blickte ihnen hinterher. „Die Kinder hatten bestimmt ihren Spaß da draußen.“
„Ganz im Gegensatz zu den Eltern. Die wirkten ziemlich erledigt.“
„Mit den dreien haben sie bestimmt alle Hände voll zu tun.“
„Selber schuld.“
„Magst du keine Kinder?“, wollte sie wissen.
Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin ein Einzelkind. Ich habe nicht viel Erfahrung mit Kindern – abgesehen von Grace’ Nachwuchs.“
„Ich bin auch ein Einzelkind.“ Jayne hatte einen sehnsüchtigen Blick in den Augen. „Ich hätte gerne eine große Familie.“
Tristan stellte sich vor, wie sie ein Baby im Arm hielt und ein anderes Kind an der Hand führte. Sie wäre bestimmt eine gute Mutter.
„Kommst du?“ Jayne war bereits einige Schritte vorausgelaufen.
Er verdrängte das irritierende Bild von ihr. Seine Zukunft sah er nicht an der Seite einer Frau und mit Kindern. Niemals. Seine Abneigung ging so weit, dass er nicht einmal Familienfotos machte. „Bin schon da!“
Sie setzten ihren Weg fort, der zwischen den Hügeln hindurch auf den nassen Sandstrand führte, auf den schäumende Wellen schwappten.
Ehrfürchtig betrachtete sie die aufragenden Sandsteinfelsen. „Wow!“
Das war genau das richtige Wort. Ihr staunender Blick schnürte ihm fast die Kehle zu. Neben dem verwitterten alten Stein sah sie noch jünger und verletzlicher aus. Wieder drückte er auf den Auslöser seiner Kamera.
Sie musterte ihn streng.
Er ignorierte es.
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