Julia Extra Band 0342
dringend sprechen, haben Sie zehn Minuten Zeit?
Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass er sich gar nicht mehr an diese Nacht erinnern konnte, geschweige denn an sie. Das wäre entsetzlich.
„Ich habe vor ein paar Monaten mit Mr Curtis über eine mögliche Anstellung in dieser Firma gesprochen“, sagte Molly, was nur zur Hälfte gelogen war. Sie hatten vor zwei Monaten wirklich miteinander gesprochen. Und ganz nebenbei hatte er auch angedeutet, ob sie nicht für ihn arbeiten wolle. Sie war allerdings nicht sicher gewesen, ob er das so ganz ernst gemeint hatte.
„Er sagte, ich soll vorbeikommen, wenn ich mal in der Stadt bin.“
Die Blonde hob skeptisch eine Augenbraue.
„Das hat Mr Curtis gesagt?“
Molly nickte und fügte ein Lächeln hinzu.
Die Blonde überlegte kurz, ob das stimmen konnte, sah Molly dabei von oben bis unten an, als seien ihre eisblauen Augen Lügendetektoren.
„Erwartet er Sie denn?“
Nein. „Ja, ich glaube schon.“
Die Blonde musterte Molly erneut, dann wandte sie sich ihrem Computer zu und hämmerte auf mehrere Tasten.
„Nach dem Terminplan hier sollte Mr Curtis gerade ein Meeting beenden. Bis zum nächsten hat er sechs Minuten Pause, danach ist er für den Rest des Tages ausgebucht.“
„Sind Sie sicher? Hat er nicht einmal eine Viertelstunde übrig?“
Die Blondine lachte. „Sie kennen Mr Curtis wohl nicht sehr gut. Er nimmt sich selten genug Zeit zum Mittagessen.“
Doch dann wurde ihr Gesichtsausdruck sanfter.
„Ich sollte Ihnen das nicht erzählen, aber wenn Sie zu seinem Büro in den zwanzigsten Stock fahren, erwischen Sie ihn vielleicht zwischen den Meetings.“
Molly bedankte sich bei der Rezeptionistin, dann ging sie zu den Fahrstühlen.
Zunächst fühlte sie sich gelöst, angesichts ihrer Begeisterung über den errungenen Erfolg. Aber als sich die Fahrstuhltüren öffneten und sie ins Innere trat, wurde ihr auf einmal bewusst, wohin sie gerade fuhr.
Die mit Marmor und Messing ausgekleidete Kabine setzte sich mit einem leisen Surren in Bewegung. Molly wurde jedoch flau im Magen und ihre Unsicherheit kehrte zurück – ob das nun an ihren Nerven lag oder an dem Baby oder an beidem.
Vielleicht erinnerte Linc sich gar nicht mehr an sie … Wenn er ihr sagte, dass das Jobangebot nur ein Scherz gewesen war? Oder sie erfahren musste, dass er verheiratet war?
Oder noch schlimmer: Wenn er sie bat, zu gehen?
Die Fahrstuhlkabine kam im zwanzigsten Stock sanft zum Stehen und die Türen öffneten sich.
Molly holte tief Luft, dann trat sie hinaus. Im Flur angekommen, zögerte sie kurz. Nach rechts? Oder nach links? Sie hätte fragen sollen.
„Molly?“
Die Stimme, tief und dunkel wie gute Schokolade, traf sie mit derselben Wucht wie die Erinnerung, die sie auslöste. Daran, wie sie in dieser Bar saß, berauscht, aber nicht von dem Drink, den sie kaum angerührt hatte, sondern von ihrer Unterhaltung. Von der Art, wie er sie ansah und dabei ihr wahres Ich zu sehen schien. Wie er ihr zuhörte.
Molly drehte sich um, und da stand er. Linc. Er sah noch genauso aus – nun ja, fast genauso – wie in jener Nacht.
Er stand neben einer mit Kirschholz getäfelten Tür mit der Aufschrift „Konferenzzimmer“.
Ein zweiter Mann, den sie kaum wahrnahm, stand neben ihm. Sie sah nur Linc, in seinem maßgeschneiderten Marineanzug, in dem jeder andere Mann lediglich gut ausgesehen hätte. Linc jedoch gab dieser Anzug eine Aura der Macht. Mit seiner Größe von knapp einem Meter neunzig beherrschte er die weiten Flure von Curtis Systems.
„Was machst du denn hier?“, wollte er wissen.
Jetzt oder nie. Sie trat einen Schritt vor.
„Ich habe dich gesucht.“
Ein Ausdruck von Überraschung legte sich auf seine Züge.
Der Mann neben ihm sah mit offensichtlicher Neugier von Molly zu Linc, dann wieder zurück. Mit einer kaum wahrnehmbaren Handbewegung bedeutete Linc ihm, sie alleine zu lassen. Der andere Mann grinste ihn an, sagte noch irgendetwas über ein Meeting, dann ging er den Korridor hinunter.
„Warum?“, fragte Linc, während er einen Schritt nach vorne trat und seine Stimme senkte. „Ich dachte, wir wären uns einig gewesen, uns nicht wiederzusehen.“
Jedes filmreife Wiedersehen, das sie sich insgeheim ausgemalt hatte, verpuffte, als sie seinen neutralen Tonfall bemerkte.
Mollys Hand bewegte sich schützend zu ihrem Bauch und sie beschloss, dass sie auf gar keinen Fall die Bombe mit der Schwangerschaft platzen lassen würde. Nicht jetzt.
„Eigentlich
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