Julia Extra Band 0342
den immensen Aufwand, seinen Terminplan umzuwerfen, wusste er, dass er Nein sagen sollte. Doch dann trafen sich ihre Blicke und er bemerkte das verführerische Funkeln in ihren Augen.
Von einem Moment auf den anderen war er wieder in dieser Bar, und sie sah ihn auf dieselbe Art und Weise an. Sah dabei Linc. Nicht Lincoln Curtis, sondern Linc.
Eine einzige Nacht lang hatte er sich befreit gefühlt. Von seinem Leben, seinem Job. Von den unnachgiebigen Fesseln seiner Verantwortung, aber vor allem von der Last der Schuld, die all die Jahre wie Felsbrocken auf seinen Schultern gelastet hatte.
Es war wie eine vorübergehende Begnadigung, mit einer bezaubernden Frau an seiner Seite.
„Okay“, sagte er schließlich, bevor ihn die Vernunft einholte und er es sich noch einmal anders überlegen konnte.
6. KAPITEL
Lake Mead lag vor ihnen.
Mehr als fünfhundert Quadratkilometer tiefblauer Schönheit, die im grellen Sonnenlicht funkelte. Boote und Kajaks waren darauf verstreut, Schwimmer und Sonnenanbeter bevölkerten die felsige Küste.
Molly Hunter erkannte sich selbst kaum wieder.
Das lag nicht an dem T-Shirt mit der Aufschrift „Ich liebe Nevada“, das sie gekauft hatte, oder den grellen, pinkfarbenen Flip-Flops, die sie gegen ihre Büroschuhe getauscht hatte.
Es war ihre neue Persönlichkeit, die einfach so das Kommando übernahm und Lincoln Curtis an den Jachthafen des Lake Mead geschleppt hatte. Dort hatte sie ihn gebeten, in den Souvenirladen zu gehen, Klamotten zum Wechseln zu kaufen und dann ein Boot mit Skipper zu mieten, sodass sie den Nachmittag auf dem Wasser verbringen konnten.
Wer war diese Person? Und woran lag es, dass sie jedes Mal wenn sie mit Linc zusammen war, so viel … ausgelassener wurde?
An irgendeinem Punkt hatte sie es aufgegeben, ihn nach Informationen über sein Privatleben auszuquetschen, und war wieder zu der Frau geworden, die sie in der Nacht ihres Kennenlernens gewesen war. Sie musste vorsichtiger vorgehen. Nicht von ihrem eigentlichen Ziel abkommen.
Denn das konnte ihr sehr viel Ärger bescheren. Mehr als sie sich momentan leisten konnte.
„Ich sehe aus wie ein Tourist“, beschwerte sich Linc, als er zu ihr aufs Deck kam. Er hatte seine Bürokleidung gegen Kaki-Shorts, ein hellblaues T-Shirt mit einem Lake-Mead-Logo auf der Brusttasche und ein Paar Segelschuhe eingetauscht.
Molly lachte. „Genau darum geht’s ja.“ Sie streckte die Hand aus und berührte das Logo auf seiner Brust. „Toller Look. Steht dir gut.“
Er sah an sich hinab. „Findest du?“
Sie nickte. „Nicht, dass mir deine Anzüge nicht gefallen, aber das hier lässt dich …“ Sie überlegte kurz. „Wie den Mann aussehen, den ich kennengelernt habe.“
Hatte sie das wirklich gesagt? Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, diese Worte laut auszusprechen.
Es lag wohl daran, dass ihre Gedanken immer wieder zu jener Nacht zurücksprangen, wie bei einer zerkratzten Schallplatte. Sie zwang sich, wegzusehen, sich auf das Boot zu konzentrieren.
Der Bootsführer nickte in ihre Richtung, dann startete er den Motor, der knatternd zum Leben erwachte und in einem leisen Gurgeln seinen Rhythmus fand.
Linc und Molly nahmen auf der plüschigen weißen Rückbank Platz. In Sekundenschnelle entfernten sie sich vom Ufer und schipperten gemächlich über den See. Der leichte Fahrtwind linderte die brennende Sonne über Nevada ein wenig.
Ihr Magen protestierte etwas, doch Molly knabberte an den Crackern, die sie im Souvenirladen gekauft hatte.
„Nicht gerade ein nahrhaftes Mittagessen“, sagte Linc.
„Ich … äh … habe gut gefrühstückt.“
Mehr musste sie nicht sagen, um ihre Übelkeit zu erklären. Er drängte sie nicht, gab sich mit der Antwort zufrieden.
In der Mitte des Sees kam das Boot zum Stehen und der Skipper warf den Anker, dann stellte er den Motor aus.
„Wenn ihr angeln wollt, ist heute ein toller Tag dafür.“
Er stand auf und nahm zwei dünne rote Angelruten aus einer Befestigungsklammer, die auf der Backbordseite des Bootes angebracht war.
„Unten habe ich auch Köder.“
Linc nahm die Ruten und gab Molly eine davon, während der Bootsführer in die Kajüte hinabstieg, um ein paar Getränke und den Kanister mit dem Köder zu holen.
„Ich finde, wir sollten das komplette Bootsprogramm ausnutzen, was meinst du?“
Sie grinste. „Absolut. Schließlich ist das alles Recherche.“
Er erwiderte das Lächeln. „Du hast nur Arbeit, Arbeit, Arbeit im Kopf.“
Sie lachte. „Meine Güte,
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