Julia Extra Band 0347
Daisy es sich zur Gewohnheit gemacht, überall kleine Nachrichten zu hinterlassen. Über die Jahre war aus den unentzifferbaren Zeichen eine akkurate Handschrift geworden. die jedes Mal ein Glücksgefühl in Grace auslöste, wenn sie auf eine dieser Mitteilungen stieß. Hastig riss sie den Umschlag auf und fing an zu lesen.
Liebe Mum,
bitte, bitte sei mir nicht böse, aber ich habe dir ein kleines Abschiedsgeschenk hinterlassen. Ich weiß, wie sehr du dich all die Jahre für mich aufgeopfert hast. Aber jetzt ist es Zeit, dass du auch ein bisschen Spaß im Leben hast.
Grace hörte auf zu lesen. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie nahm einen weiteren Schluck und versuchte, ihrer Gefühle Herr zu werden.
Niemand hätte sich eine bessere Tochter vorstellen können. Und irgendwie glaubte Grace, dass Gott mit Daisy etwas bei ihr gutmachen wollte, nachdem er ihr Rob so früh genommen hatte. Mit erst 23 Jahren war er durch eine Landmine bei einem Einsatz im zweiten Golfkrieg getötet worden. Er hatte noch nicht einmal Daisys erste Schritte miterleben oder ihre ersten Worte hören können. War das Gerechtigkeit?
Grace holte tief Luft und hätte am liebsten geweint. Doch sie schüttelte tapfer den Kopf. Sie hatte Daisy, und mit ihr ging seit 18 Jahren täglich die Sonne auf.
Komm schon, Grace! Hör auf zu jammern!
Sie betrachtete den Brief in ihrer Hand. Daisy musste ihr nicht für alles danken. Es war ihre Pflicht gewesen und hatte sie mit Freude erfüllt, Mutter zu sein. Ja, es war hart gewesen, mit 22 Jahren Witwe zu werden. Aber jedes Mal, wenn sie in diese wunderschönen braunen Augen sah, wusste sie, dass ein großer Teil von Rob am Leben geblieben war.
Ich kenne dich, Mum. Du redest davon, ein Hobby zu finden oder endlich dein eigenes Café aufzumachen. Aber ich weiß, dass du all das nicht tun wirst. Deshalb habe ich mir erlaubt, dir einen kleinen Schubs zu geben und entschuldige mich auch nicht dafür. Du brauchst es, Mum. Versuche nicht, dich da rauszuwinden!
Was um alles in der Welt hatte Daisy getan?
Ungläubig starrte Grace auf den Brief, bevor sie ihn auf den Küchentisch fallen ließ.
Noah lief über den cremefarbenen Teppich in seinem Arbeitszimmer und rieb sich mit einem Handtuch die Haare trocken. Seine morgendliche Joggingrunde hatte er bereits hinter sich, während es draußen noch dunkel und still war. Er mochte diese Zeit des Tages, in der sich Ideen entfalten und langsam Gestalt annehmen konnten.
Er schaltete den Computer ein. Während des Joggens hatte er darüber nachgedacht, wie er seinen Bösewicht noch niederträchtiger machen könnte. Sein Lektor würde begeistert sein. Noahs letzter Spionagethriller hatte sich so prächtig verkauft, dass der Verleger drängte, das nächste Buch baldmöglichst auf den Markt zu bringen.
Sorgfältig faltete er das Handtuch zusammen und legte es über eine Stuhllehne, bevor er sich an den Schreibtisch setzte, um seine E-Mails durchzuschauen. Obwohl in seinem Postfach viele Nachrichten waren, klickte er auf den Link einer Mail und landete auf einer Website, die er nur öffnete, wenn seine Assistentin nicht in der Nähe war. Er loggte sich ein und öffnete eine Seite, die er seit einem Monat unter seinen Favoriten gespeichert hatte.
Grace schaltete das Licht in Daisys Zimmer an, nahm den pinkfarbenen Laptop ihrer Tochter vom Schreibtisch und machte es sich auf dem Bett bequem. Während der Rechner hochfuhr, betrachtete sie ihre Fingernägel und konnte kaum der Versuchung widerstehen, den grellblauen Nagellack abzukratzen. Als die Verbindung zum Internet hergestellt war, tippte sie die Adresse ein, die Daisy am Ende ihres Briefes aufgeschrieben hatte.
Blinddatebrides.com! Erst ein Blind Date, dann die Hochzeit! Was hatte sich ihre Tochter nur gedacht? Der Gedanke, zu einer Verabredung zu gehen, war schlimm genug – aber gleich eine Hochzeit? Das hatte sie bereits hinter sich und am Ende einen schwarzen Schleier getragen …
Ein geselliges Kaffeetrinken oder Abendessen wäre okay, das würde sie bestimmt überstehen. Während sich die Seite aufbaute, schweiften ihre Gedanken ab. Blind-Date-Braut? Wie funktionierte so etwas? Man traf sich in einem Restaurant und dann?
Sie bekam eine Gänsehaut und schüttelte den Kopf. Okay, Daisy hatte zweifellos Impulsivität geerbt, doch selbst sie würde ihre Mutter nicht einer solchen Demütigung aussetzen. Es sei denn, sie wäre selbst anwesend und mit einer Videokamera bewaffnet.
Grace zuckte zusammen, als sie
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