Julia Extra Band 0349
Sie musste zurück nach England, und Neros Platz war hier.
Als sie hinunter in die Küche ging, saß Nero am Tisch und trank Kaffee, als wäre heute ein Tag wie jeder andere. Für einen Augenblick wünschte sich Amanda verzweifelt, heute wäre wirklich ein ganz normaler Tag. Sie fühlte sich, als hätte man ihr das Herz herausgerissen.
„Danke, María.“ Amanda bemühte sich um ein warmes Lächeln, als die Haushälterin ihr eine Tasse frisch gebrühten Kaffee reichte.
Doch bei Marías mitfühlendem Blick schossen ihr Tränen in die Augen, und sie musste sich schnell abwenden. Offenbar wusste auch María schon Bescheid. Nur Nero leerte ungerührt seine Tasse. Dann legte er seine Zeitung zur Seite und stand auf.
„Wenn du eine Minute Zeit hast, können wir die Einzelheiten deiner Reise kurz besprechen.“ Er hörte sich ganz entspannt und gelassen an.
„Selbstverständlich“, erwiderte Amanda knapp. „Aber zuerst möchte ich mich von Ignacio und den Jugendlichen verabschieden.“ Sie drehte sich zu María um. „Ich werde euch alle so vermissen“, sagte Amanda leise.
Anstelle einer Antwort nahm die Köchin sie fest in ihre Arme. Jetzt hatten beide Frauen Tränen in den Augen.
„Ich bin bei den Ställen.“ Hastig verließ Nero die Küche.
Als das Flugzeug dröhnend in die Lüfte stieg, starrte Amanda aus dem kleinen Fenster. Unter ihr lag eine dichte Wolkendecke. Sie hätte irgendwo sein können – auf dem Weg zu einem beliebigen Ort. Sie seufzte leise und drehte sich vom Fenster weg.
„Haben Sie alles, was Sie brauchen, Miss Wheeler?“, riss sie die Stimme der Stewardess aus ihren Gedanken.
Nicht annähernd, dachte sie. „Ja, vielen Dank.“ Amandas Kehle war wie zugeschnürt.
Für den Prinzen hatte sie Protokoll über das Projekt geführt und Notizen und Fotos gemacht. Diese Akte war das Einzige, was ihr von der Zeit in Argentinien geblieben war.
Ich werde die jungen Leute vermissen, dachte sie und betrachtete ein Gruppenbild. Sie würde jeden Einzelnen vermissen. Unwillkürlich lächelte sie, als sie Ignacio anschaute. Für diesen besonderen Fototermin hatte er seine komplette Gaucho-Kluft angelegt und sah gleichzeitig abenteuerlich und exotisch aus.
Die Kinder blickten mit lachenden Gesichtern in die Kamera. Einige von ihnen hatten die Arme umeinander gelegt.
Und Nero. Er überragte alle. In seinem Polotrikot wirkte er durch und durch wie der strahlende Held.
Kein Wunder, dass nach seinen Erfahrungen Kontrolle so wichtig für ihn ist, überlegte Amanda traurig und schloss für einen Moment die Augen.
Sie dankte der Stewardess, als diese ihr ein Glas Champagner brachte, und prostete in einem stillen Gruß ihren fernen Freunden zu.
12. KAPITEL
Es war, als wäre mit Amandas Abreise alle Freude aus dem Leben auf der Hazienda verschwunden. Im Haus und in den Ställen war die Stimmung gleichermaßen düster und bedrückt.
Nero versuchte, zur normalen Tagesordnung überzugehen. Aber vergeblich. Er wusste, dass es niemals wieder so sein würde wie vorher. Denn zum ersten Mal in seinem Leben sehnte er sich verzweifelt nach etwas, das er nicht haben konnte.
Mit Mühe riss er sich von seinen Gedanken an Amanda los und ging zu den Ställen, um sein Pferd zu satteln. Mitten in der Bewegung hielt er inne. Ignacio stand wie erstarrt in der Stalltür.
„Ignacio! Was ist los?“, fragte er erschrocken.
Der Cowboy schüttelte nur stumm den Kopf.
„Welches Pferd ist es?“ Besorgt kam Nero näher. Sein alter Freund war stets schweigsam, aber noch nie hatte er ihn sprachlos erlebt.
„Sieh selbst!“, murmelte Ignacio und trat zurück.
„Sie hat eine Nachricht für dich dagelassen“, erklärte einer der Pferdepfleger und drückte Nero einen Brief in die Hand.
„Nicht jetzt!“ Nero eilte in den Stall, voller Sorge, welches der Pferde so schwer verletzt oder krank sein mochte, dass selbst Ignacio nicht weiterwusste. „Von wem ist die Nachricht?“
„Von Amanda.“
Nero riss den Umschlag auf und überflog die Zeilen:
„Bei dir hat sie bessere Chancen – und ein besseres Leben …“
Brief und Umschlag fielen aus Neros Händen und flatterten zu Boden, während er in den Stall lief. „Misty …“
Der Anblick des kleinen Ponys überwältigte ihn wie noch nie etwas zuvor. Gefühle, die er sein Leben lang unterdrückt hatte, raubten ihm den Atem. Amanda hatte einen Teil ihres Herzens geopfert. Für ihn – und für das kleine Pferd, das sie so sehr liebte.
„Wie konnte das
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