Julia Extra Band 0350
„Sondern, um dich zu sehen.“
„Um mich zu sehen.“ Sie lachte, und Sergej stellte betroffen fest, dass es falsch klang.
Vielleicht hatte sie sich ja doch verändert.
Hannah schaute Sergej ungläubig an. Er konnte doch unmöglich den ganzen Weg von Russland hergekommen sein, um sie zu sehen! Lächerlich.
Doch er stand wirklich in ihrem Laden und blickte sie abwartend an.
Worauf wartete er?
Sie konnte es sich nicht erklären. Die Erinnerung, wie er sich von ihr abgewandt und diese Frau … Varya … in den Arm genommen hatte, stand ihr unauslöschlich vor Augen. Deutlicher hätte er nicht ausdrücken können, wie leid er sie war. Warum, in aller Welt, tauchte er dann jetzt bei ihr auf?
„Was willst du?“, fragte sie stolz.
„Wie ich schon sagte … dich sehen.“
„Warum?“
Er musterte sie schweigend von Kopf bis Fuß. Ein unergründlicher Ausdruck huschte über sein Gesicht. „Ich wollte herausfinden, ob du noch dieselbe bist.“
„Dieselbe?“, wiederholte Hannah schroff. „Was soll das heißen? Nun, ich bin auf jeden Fall älter geworden.“ Sie wandte sich ab und begann mit zitternden Händen die Pullover zusammenzufalten, die Lisa auf der Theke liegen gelassen hatte.
„Und vielleicht um ein Jahr weiser?“
Sie lachte erneut spöttisch. „Wenn du damit meinst, dass ich immer noch so nervtötend optimistisch bin, dann nein. Ich bin es nicht mehr.“
Er atmete tief ein. „ Erfrischend optimistisch habe ich auch gesagt.“
„Egal.“ Sie drückte die Hände in die weichen Pullover, um ihr Zittern zu verbergen. Warum übte er noch immer eine so heftige Wirkung auf sie aus? Sie hatten einen Abend miteinander verbracht. Einander geküsst. Und doch hatte es sich so angefühlt, als er ihren Laden betreten hatte, als hätte sie nur auf sein Kommen gewartet. Wie genau sie sich an seine eisblauen Augen, an das markante Gesicht erinnerte! An das unvergleichliche Gefühl, von ihm geküsst zu werden!
„Schön.“ Sie wandte sich zu ihm um. „Bist du zufrieden?“
„Ganz und gar nicht.“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung, warum du hier bist, Sergej.“
Er lächelte fast ein wenig kläglich, was seinem sonst so verschlossenen Gesicht einen ungewohnt weichen, jungenhaften Ausdruck verlieh. „Ehrlich gesagt, ich weiß es auch nicht.“
„Dann … solltest du vielleicht besser wieder gehen.“
„Ich bin gerade vier Stunden mit dem Auto hierher gefahren! So schnell wirst du mich nicht los. Und“, fügte er rau hinzu, „ich glaube auch nicht, dass du das willst.“
„Du weißt nichts über mich.“
„Bist du sicher?“
„Ziemlich. In dem vergangenen Jahr ist viel passiert. Als wir in Moskau zu Abend gegessen haben, war ich vielleicht noch sehr naiv und dumm, aber inzwischen habe ich dazugelernt und mich verändert. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, was du noch von mir willst.“
„Warum bist du so zornig?“
„Warum?“ Sie sah ihn fassungslos an. „Musst du das wirklich fragen? So, wie du mich behandelt hast? Wie du mich gedemütigt hast?“
„Das ist ein Jahr her, Hannah.“
„Und dein Erscheinen hier wühlt alles wieder auf.“
„Weißt du, ich habe da so eine Theorie …“ Er kam auf sie zu, und blieb so dicht vor ihr stehen, dass sie den Duft seines exklusiven Aftershaves riechen konnte. „Du bist so zornig, weil du dich noch immer zu mir hingezogen fühlst. Wenn du mich vergessen hättest, würdest du jetzt nicht wie eine Furie auf mich losgehen, als wolltest du mir das Herz aus dem Leibe reißen.“
Ihr Herz pochte, weil sie wusste, dass er recht hatte, und sie hatte große Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken. „Das würde ich auch am liebsten tun!“
Sergej lächelte triumphierend. „Du fühlst dich also noch zu mir hingezogen.“ Er berührte ihren zarten Hals, wo er das Pochen ihres Pulses spüren konnte.
Die Art, wie sie erschauerte und tief errötete, verriet mehr, als ihr lieb war. Hannah wünschte, sie hätte die Kraft aufgebracht, zurückzuweichen und ihn mit wenigen Worten in seine Schranken zu weisen. Doch das Problem war, dass es sich so wundervoll anfühlte, ihm wieder so nahe zu sein. Und die zärtliche Berührung seiner Hand weckte so unglaublich erotische Erinnerungen.
„Tatsächlich fühle ich mich genauso zu dir hingezogen“, fuhr Sergej nun fort, während er sie streichelte.
„Nein“, wehrte sie ab. „Das stimmt nicht. Ich weiß nicht, warum du gekommen bist, aber …“, sie nahm all ihre Willenskraft
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