Julia Extra Band 0350
hatte. Meine Eltern haben mich absichtlich über die katastrophale Lage des Ladens im Unklaren gelassen, weil sie unbedingt wollten, dass ich ihn weiterführe.“
„Er war ihnen offensichtlich sehr wichtig.“
„Ja, wichtiger als ich.“
„Vielleicht wollten deine Eltern dich auch nur beschützen.“
Sie seufzte. „Und wer ist jetzt der Optimist? Nein, sie wollten mich an ihren dummen, kleinen Laden binden, der ihnen so viel wichtiger war als ich!“ Bis zu dem Moment war ihr gar nicht bewusst gewesen, dass sie so empfand. Es klang so hässlich, so von ihren Eltern zu sprechen, und sie hätte es auch niemals getan, wenn Sergej an jenem Abend in Moskau nicht die ersten Zweifel in ihr geweckt hätte.
„Komm her.“
Ehe sie begriff, was er von ihr wollte, nahm Sergej sie in die Arme. Es fühlte sich so gut, so tröstlich an. Erneut kamen ihr die Tränen, doch diesmal ließ sie ihnen freien Lauf. Sie barg das Gesicht an Sergejs breiter Schulter und weinte um alles, was sie im Lauf der Jahre verloren hatte … ihre Eltern und auch um sich selbst, um das, was sie einmal gewesen war. Seit sehr langer Zeit hatte sie sich nicht mehr so sicher und behütet gefühlt wie in Sergejs liebevoller Umarmung.
Hoffnung keimte in ihr auf, doch sie hatte Angst, sie zuzulassen, Angst vor der nächsten Enttäuschung. Das war Sergej Kholodov, ein harter, mächtiger Mann, der niemanden an sich heranließ. Und der sie jetzt so unvorstellbar zärtlich in den Armen hielt.
„Es tut mir leid.“ Immer noch ein wenig schniefend wich sie zurück. „Wahrscheinlich habe ich deine teure Smokingjacke ruiniert.“
„Eine gute Reinigung vollbringt Wunder.“
„Ja, hoffentlich.“ Sie lächelte zaghaft.
Er schüttelte seufzend den Kopf. „Es tut mir wirklich leid, dass du all das durchmachen musstest. Wenn ich nicht …“
„Mach dir keine Vorwürfe, Sergej“, wehrte sie ab. „Viele Menschen müssen viel Schlimmeres aushalten … und wenigstens bin ich jetzt nicht mehr so nervtötend optimistisch.“
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Nun ja, ehrlich gesagt, war es dein nervtötender Optimismus, der mich verändert hat. Er hat in mir Hoffnung geweckt … dass es mir vielleicht gelingt, daran zu glauben, dass nicht alle Menschen so selbstsüchtig und enttäuschend sind, wie ich gedacht habe.“
Sie sah ihn verblüfft an. Das hatte sie wirklich nicht erwartet. „Und hat es funktioniert?“
„Ich … bemühe mich. Deshalb war ich ja heute Abend so wütend. Ich will nicht, dass du nur meine Geliebte bist. Ja, bislang habe ich Frauen so behandelt … wie Puppen, mit denen man spielt, Spaß hat, bevor man sie … ausrangiert.“ Es bemerkte, wie Hannah unwillkürlich zusammenzuckte, und nickte. „Ich weiß, das klingt nicht nett, nicht wahr?“
„Wenigstens gibst du es jetzt zu.“
„Aber du bist anders. Oder zumindest bin ich anders, wenn ich mit dir zusammen bin. Sofern ich es zulasse.“
Obwohl er genau das aussprach, worauf sie insgeheim immer gehofft hatte, ermahnte sich Hannah, skeptisch zu bleiben. Vielleicht hatte ja sein Zynismus wirklich auf sie abgefärbt, vielleicht war es auch nur Selbstschutz. „Dann bin ich also die erste Frau, die du nicht wie eine bloße … Geliebte behandeln willst?“
„Ja. Obwohl ich mir noch nicht richtig darüber im Klaren bin, was das wirklich bedeutet. Denn, wie ich schon sagte, ich hatte noch nie eine richtige Beziehung, weder romantischer noch anderer Art“, ergänzte er aufrichtig. „Ich habe Angestellte, Geschäftspartner, Bekannte. Das war’s.“
„Das muss ein sehr einsames Leben sein“, meinte sie traurig.
Er nickte. „Ja, aber vielleicht … vielleicht ist jetzt wirklich die Zeit für etwas anderes gekommen.“
Ihr Herz pochte schneller. „Wie anders? Wie willst du ändern, wer du bist?“
Augenblicklich verschanzte Sergej sich wieder hinter einer ausdruckslosen Maske, als hätte sie ihn mit ihrer allzu direkten Frage gekränkt. „Keine Ahnung. Ich weiß nicht einmal, ob ich mich überhaupt verändern kann.“
Hannah verwünschte ihre unbedachten Worte. Sie durfte nicht zulassen, dass er sich wieder vor ihr verschloss. „Du kannst es auf jeden Fall versuchen“, sagte sie vorsichtig. „Wir können es versuchen, denn ich … ich will auch noch immer daran glauben.“
Sie wartete mit angehaltenem Atem. Was immer für eine Beziehung zwischen ihnen möglich war, dies war ein alles entscheidender Moment.
„Also gut.“ Sergej lächelte, auch wenn seine
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