Julia Extra Band 0350
lassen.
„Warum tun Sie das?“, fragte er zornig.
Seine eiskalte Verachtung brannte auf ihrer Haut. Innerlich krümmte Lily sich. Sie hatte nichts getan, womit sie seinen Abscheu verdient hätte, dennoch schnitten seine Worte wie ein rostiges Messer durch sie hindurch. Wieso reagierte sie so empfindsam auf ihn? Es war, als ob eine magische Verbindung zwischen ihnen existierte, die sie überempfänglich für ihn machte. Als ob er sie in das Kraftfeld seiner Persönlichkeit ziehen würde und verletzlich machte, ganz gleich, wie sehr sie sich auch dagegen wehrte.
„Warum tue ich was?“
„Sie wissen genau, was ich meine. Dieses schäbige Studio, die Art, wie Sie an meinen Neffen herangetreten sind …“
Mit seinen Worten trieb er ihr das Blut in die Wangen, auch wenn sie sich nichts vorzuwerfen hatte. „Ich sagte Ihnen bereits, dass ich lediglich für jemanden eingesprungen bin.“
Ihre Erklärung beschwichtigte seinen Ärger keineswegs, im Gegenteil. „Sagen Sie, macht es Ihnen nichts aus, was Sie damit anrichten? Verschwenden Sie auch nur einen Gedanken daran, welche Verwüstung Sie und Ihresgleichen hinterlassen?“
Ihr Herz hämmerte, Lily spürte Panik aufsteigen. Der Mann drang zu weit in ihre Privatsphäre ein und riss alte Wunden wieder auf. Es war unglaubliche Ironie des Schicksals, dass er ausgerechnet ihr solche Vorwürfe machte. Ihr Instinkt hielt sie jedoch davon ab, laut zu protestieren.
„Ich brauche mich vor Ihnen nicht zu rechtfertigen“, sagte sie bemüht ruhig. „Wie ich jetzt schon mehrmals sagte, wurde ich von meinem … ich wurde gebeten, ausnahmsweise das Shooting für einen Kleiderkatalog zu übernehmen, mehr nicht.“
„Und was ist mit dem jungen Mann, den man in einer Studentenkneipe angesprochen hat, ob er für dieses Shooting nicht Modell stehen will? Fragen Sie sich nicht, warum … Ihr Freund seine Models auf diese Art und Weise sucht, wenn es genügend Agenturen gibt? Ich bin sicher, dort kann man aus unzähligen jungen Männern auswählen, die immerhin wissen, worauf sie sich einlassen, weil sie bereits Erfahrungen mit diesem Business sammeln konnten.“
Seine Worte trafen wie Peitschenschläge auf ihre angespannten Nerven. Nur wollte sie ihn nicht merken lassen, wie sehr er sie verletzte. In ihrem jetzigen Leben war kein Platz für das Mädchen, das sie einst gewesen war. Dieses Mädchen würde sie nie wieder sein. Sie hatte die Vergangenheit hinter sich gelassen und würde nicht mehr zurückblicken.
Weil sie noch immer Angst vor den Dämonen hatte?
Sie war glücklich gewesen, hatte sich sicher gefühlt und war stolz auf das, was sie erreicht hatte. Und jetzt, nur wegen eines Mannes, der sie völlig falsch beurteilte, geriet alles in ihr in Aufruhr. Der Wunsch, ihren Emotionen nachzugeben, war nie größer gewesen, doch sie musste dagegen ankämpfen. Und Ruhe und Logik waren ihre stärksten Waffen in diesem Kampf.
„Kataloge bringen nicht gerade das große Geld. Vermutlich hat Rick die Kosten gering halten wollen. Deshalb hat er wohl Ihren Neffen angesprochen, aus keinem anderen Grund.“
„Und das soll ich glauben? Ihr Freund hat meinen Neffen nicht nur im Voraus bezahlt, er wollte ihn auch auf eine Party mitnehmen, angeblich, um ihn mit einigen großen Namen der Modewelt bekannt zu machen.“
Jetzt reichte es ihr. Sie hatte anderes zu tun, als das Verhalten ihres Halbbruders zu rechtfertigen, und Marco di Lucchesis Benehmen ihr gegenüber war keineswegs abgebracht. Er beschuldigte sie praktisch, seinen angeblich unschuldigen Neffen im Auftrag irgendeines Perversen zu korrumpieren! Rick mochte seine Fehler haben, aber pervers war er bestimmt nicht!
„Sie irren sich komplett, sowohl über Rick als auch über mich. Wenn Sie es genau wissen wollen … ich teile Ihre Meinung über die Schattenseiten der Modelbranche.“
Waren das nicht die gleichen Worte, die auch die Mitarbeiterin jener Agentur benutzt hatte, für die Olivia damals arbeitete? Der achtzehnjährige Marco hatte Olivia nach Hause zurückholen wollen und bei der Agentur nachgefragt, hatte sich dann aber von den Zusicherungen einlullen lassen. Die Frau, die ihm versichert hatte, sie würde darauf achten, dass Olivia nichts zustößt, hatte gelogen. Genau wie die Frau log, die jetzt vor ihm stand.
Und warum sollte ihn das stören? Was interessierte es ihn, ob diese Frau eine Lügnerin war oder nicht? Das tut es auch nicht, versicherte er sich still. „Was Sie sagen, ergibt keinen Sinn. Es kann
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