Julia Extra Band 0354
Court zu, nicht ihr. Sie, Helena Kingston, war lediglich die Tochter von Isobels langjährigem Gärtner. Und nun sollte sie, die keinerlei Anspruch darauf hatte, die Hälfte des Besitzes erben und damit unverhofft zu einer reichen Frau werden? Wie würde Oscar das aufnehmen? Die Situation war einfach grotesk.
Sie zwang sich, John Mayhew weiterhin zuzuhören, der nun die Liste der restlichen Begünstigten vorlas. Louise, die Haushälterin, erhielt eine beträchtliche Schenkung, und diverse soziale und karitative Einrichtungen in der näheren Umgebung wurden bedacht. Trotzdem blieben Oscar und sie die eigentlichen Erben.
John Mayhew rückte seine Brille zurecht. „Wie in solchen Fällen fast immer üblich, sind bestimmte Auflagen zu erfüllen. Mrs Theotokis hat sie zum Schluss genannt.“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause.
„Mulberry Court darf frühestens an ihrem ersten Todestag verkauft werden, und Familien mit Kindern müssen bevorzugt berücksichtigt werden.“ John Mayhew legte das Schriftstück zur Seite. „Ich weiß, wie sehr Isobel unter ihrer Kinderlosigkeit gelitten hat“, sagte er nachdenklich. „Daher ist ihr Wunsch verständlich, Mulberry Court mit Leben zu füllen. Das Anwesen ist für eine große Familie mit vielen Kindern wie geschaffen. Von ihrem Platz im Himmel, den sich Isobel verdient hat wie kaum eine andere, wird sie das Lachen hören und sich darüber freuen.“
Helena spürte einen Kloß in der Kehle. Isobel Theotokis war eine großzügige, warmherzige Frau gewesen, die von allen geliebt und geachtet worden war. Wer wusste das besser als sie, Helena, die von ihr die Hälfte ihres geliebten Hauses geschenkt bekommen hatte? Welche Großzügigkeit von Isobel und welche Ehre für sie, die Tochter eines Gärtners!
Doch wie sollte das praktisch aussehen? Sie liebte Mulberry Court, doch Oscar sah die Sache bestimmt nüchterner. Ihm würde es vor allem darum gehen, das für ihn unnötige Anwesen schnellstens zu veräußern und nach Griechenland zurückzukehren, um sich wieder ungestört dem Finanzimperium der Familie Theotokis widmen zu können.
Sie nahm all ihren Mut zusammen, musterte flüchtig Oscars Profil, das wie versteinert wirkte, und brach das Schweigen.
„Ich bin fassungslos“, gestand sie. „Nie hätte ich damit gerechnet, von Mrs Theotokis so großzügig bedacht zu werden.“ Waren diese Worte angemessen? Helena zögerte. Wie verhielt man sich, wenn man unerwartet die Hälfte eines alten Herrenhauses voller Kunstschätze geerbt hatte?
„Ich bin fest entschlossen, in Isobels Sinn zu handeln und ihren Wünschen in jeder Einzelheit nachzukommen“, fügte sie mit Nachdruck hinzu.
John Mayhew griff in die Schublade seines Schreibtischs und händigte Oscar und ihr gegen Unterschrift je einen Schlüsselbund und eine Kopie des Testaments aus. So vorsichtig, als handle es sich um eine Kostbarkeit, verstaute Helena die Dinge in ihrer Tasche.
Als alle aufstanden, um sich zu verabschieden, fasste Helena sich ein Herz und blickte Oscar in die Augen. Sie waren nicht nur dunkel wie Granit, sondern blickten nun auch ebenso hart und kalt. Was mochte hinter seiner Stirn wohl vorgehen?
Auch er hatte mit einem derartigen Testament bestimmt nicht gerechnet. Dass ausgerechnet Helena Kingston Miterbin war und für mindestens ein Jahr eine wichtige Rolle in seinem Leben spielen würde, musste ihm äußerst lästig sein. Selbstbewusst hob sie den Kopf. Das war sein Problem, nicht ihres.
John Mayhew versicherte ihnen, seine Kanzlei würde ihnen im Bedarfsfall selbstverständlich auch in Zukunft gern zur Seite stehen, und begleitete die beiden zur Tür.
Seite an Seite gingen Oscar und Helena im milden Sonnenlicht des Spätnachmittags zum Parkplatz.
„Und?“ Oscar kniff die Augen zusammen und blickte Helena fragend an. „Ich würde sagen, das war eine gelungene Überraschung.“
Eine gelungene Überraschung? Helena musste unwillkürlich lächeln. Das war die Untertreibung des Jahrhunderts!
„Ich sehe keine Schwierigkeiten“, fuhr er fort. „Wir werden uns bestimmt einigen können. Als Erstes werde ich Gutachter beauftragen, den Wert des Anwesens und der Kunstgegenstände zu schätzen. Das gibt uns einen Anhaltspunkt, welche Preise wir bei der Veräußerung erzielen können.“
Er schüttelte den Kopf. „Die Klausel, mit dem Verkauf ein ganzes Jahr warten zu müssen, zieht natürlich alles unnötig in die Länge. Ich weiß nicht, was Isobel damit bezwecken wollte. Es wäre
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