Julia Extra Band 0354
Oscar.“ Sie sah, wie ein Muskel an Oscars Kinn zuckte.
Oscar konnte sich von Helenas Anblick gar nicht losreißen. Wie schön sie war! Ihr dichtes Haar schimmerte im flackernden Kerzenlicht wie gesponnenes Gold. „Bist du wieder fit?“, fragte er. „Du wirkst noch recht blass.“
„Wahrscheinlich, weil ich halb verhungert bin.“ Sie lachte und vertiefte sich in die Speisekarte, um ihre Nervosität zu überspielen. Wieder einmal war ihr gerade bewusst geworden, wie sehr sich ihr Leben in den letzten Tagen verändert hatte. Es war kaum zu fassen.
Doch es war kein Traum. Bei Kerzenschein und Champagner saß sie mit ihrer längst verloren geglaubten Liebe an einem Tisch. Und Oscar hatte sich nicht verändert, er war attraktiv und charmant wie eh und je – ein Mann, der jede Frau zum Schwärmen brachte.
Nachdem Adam die Bestellung aufgenommen hatte, lehnte sich Oscar in seinem Stuhl zurück. „Ich habe den Nachmittag genutzt, um mir alles noch einmal gründlich durch den Kopf gehen zu lassen. Es scheint mir nicht ratsam, Mulberry Court ein ganzes Jahr unbewohnt zu lassen. Gewiss, Louise und Benjamin sind auch noch da, trotzdem zieht ein leeres Gebäude Einbrecher, zerstörungswütige Jugendliche und Hausbesetzer magisch an.“ Er trank einen Schluck. „Mit anderen Worten, ich würde vorschlagen, das Haus für die nächsten zwölf Monate zu vermieten, um solche Probleme gar nicht erst aufkommen zu lassen.“
Helena traute ihren Ohren nicht. Eine gute Fee musste Oscar diesen Gedanken eingegeben haben.
Noch ehe sie etwas erwidern konnte, wurde serviert – beide hatten sich für den Fisch entschieden. Nachdem Adam sich entfernt hatte, schnitt Oscar ein anderes Thema an. Plötzlich schien er sich für Helenas Leben zu interessieren.
„Wir haben uns zehn Jahre nicht gesehen“, stellte er fest. „Wie ist es dir in dieser Zeit ergangen? Von Isobel weiß ich, dass du ein Stipendium an einer renommierten Londoner Universität erhalten hast.“
„Ja, dort habe ich auch meinen Abschluss in Wirtschaftswissenschaft und Internationalem Handel gemacht. Im Moment sitze ich bei Harcourt, einer anerkannten Firma für Arbeitsvermittlung, in der Chefetage. Doch ich möchte mich verändern, das sagte ich bereits.“
„Und was schwebt dir vor?“
„Das weiß ich noch nicht so genau.“ Helena blickte angestrengt auf ihren Teller. „Genau deshalb möchte ich mir eine Auszeit nehmen und meine Optionen in Ruhe überdenken. Sollte es mit dem Geld knapp werden, wäre es bestimmt kein Problem, einen Aushilfsjob zu bekommen.“
Oscar schwieg. „Du lebst allein?“, fragte er schließlich.
„Ja.“
„Kein Ehemann in Sicht?“
„Nein.“ Sie hob den Kopf. „Und wie sieht es bei dir aus? Warten zu Hause Frau und Kinder auf dich?“
Er lachte leise und schüttelte den Kopf. „Ein Szenario, mit dem ich mich persönlich noch nie anfreunden konnte.“
Das überraschte Helena nicht. Warum sollte ein Mann wie er sich festlegen und auf Dauer binden, wenn er die schönsten Frauen zu Geliebten haben und ständige Abwechslung genießen konnte?
„Mir ist es ein Rätsel, wie du es geschafft hast, Single zu bleiben“, unterbrach er sie in ihren Gedanken. „Gerade in London gibt es doch bestimmt jede Menge Männer, die sich nach einer schönen Frau wie dir den Hals verrenken. Wie ist es dir gelungen, keinem in die Falle zu gehen?“
Helena errötete. Ein Kompliment von Oscar! Das hatte sie nun wirklich nicht erwartet. Bereitwillig beantwortete sie seine Frage. „Kurz nach dem Tod meines Vaters traf ich Jason, und wir waren eine Zeit lang zusammen.“ Sie runzelte die Stirn. „Ich war damals sehr traurig, und er gab mir Halt und Hoffnung. Im Nachhinein würde ich sagen, ich habe nur genommen und nichts gegeben. Außer den ständigen Klagen über meinen großen Verlust habe ich nichts in die Beziehung eingebracht.“ Sie sah Oscar kurz an. „Obwohl ich es eigentlich besser hätte wissen müssen, habe ich weiter nichts getan, als mich selbst zu bemitleiden.“
Gedankenverloren lächelte er. Wie sehr er Helenas Mienenspiel liebte, das so viel über sie verriet! Als Halbwaise musste sie ein außergewöhnlich enges Verhältnis zu ihrem Vater gehabt haben, da war es nur natürlich, dass sie sein Tod fast aus der Bahn geworfen hatte. Trotz ihrer Selbstsicherheit war Helena sensibel und ausgesprochen verletzlich, was in ihm von Anfang an den Beschützerinstinkt geweckt hatte.
„In einer Großstadt kann man sehr einsam
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