Julia Extra Band 0354
geliebt und gelebt wird.“
Helena empfand es als Verrat, Isobels mit so viel Kunstverstand, Liebe und Mühe gesammelten Schätze Stück für Stück an den Meistbietenden zu veräußern.
Oscar sah Helena durchdringend an. Er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen, und mit einem Mal verspürte er ein wildes Verlangen. Schnell blickte er zur Seite. „Das ist ein Argument, darüber sollten wir reden“, räumte er ein. „Bei dieser Gelegenheit möchte ich dich übrigens bitten, dir alles zu nehmen, woran dir etwas liegt.“ Er machte eine Pause. „Ich möchte nichts davon.“
Das glaubte Helena ihm sofort. Sie runzelte die Stirn. Aber brauchte sie denn etwas? Vermutlich nicht. Sie war jetzt zwar eine reiche Frau, trotzdem konnte sie sich nicht vorstellen, in absehbarer Zeit einmal in einem Haus zu wohnen, das Isobels Schätzen gerecht wurde.
„Im Moment bin ich noch unentschieden“, antwortete sie ruhig. „Nur die beiden da möchte ich auf alle Fälle haben.“ Sie wies auf die beiden Porzellanfiguren.
„Selbstverständlich.“ Oscar nickte. „Helena, mach dir keine Illusionen, früher oder später werden wir uns von allem trennen müssen. Besser, man sieht dem Unausweichlichen beizeiten ins Auge.“ Er drehte sich um und verließ die Bibliothek, um ins obere Stockwerk zu gehen.
Helena folgte ihm die breite Treppe hinauf. Sechs Schlafzimmer gab es hier oben, alle mit eigenem Bad. Am liebsten wäre sie über den hellen, mit teuren Teppichen ausgelegten Flur geeilt, um die Tür zu ‚ihrem‘ Zimmer aufzureißen. Hier hatte sie geschlafen, wenn ihr Vater einmal ohne sie verreisen musste.
„Isobel hatte einen großen Freundeskreis“, bemerkte sie, da sie das Gefühl hatte, irgendetwas sagen zu müssen. „Es war ein ständiges Kommen und Gehen, und die Zimmer standen nie lange leer. Auch ich habe einige Male hier übernachtet.“
„Und das hier war mein Zimmer“, sagte Oscar. Er öffnete eine Tür und wandte sich zu Helena um. „Ich bin in den Ferien wirklich gern hier gewesen.“
Sie hätte sich beinahe verschluckt. Er war gern hier gewesen? Das war alles? Hatte er vergessen, was diese Wochen damals für sie beide bedeutet hatten? Hatte er diese große Liebe einfach aus seinem Gedächtnis gestrichen, oder hatte er ihr damals etwas vorgemacht?
Wortlos folgte sie ihm wieder nach unten und durch den Hintereingang nach draußen. Der Küchengarten an der Rückseite des Hauses bot die gleiche Vielfalt wie früher und war bestens gepflegt. Ihr Vater wäre mit der Arbeit seines Nachfolgers bestimmt zufrieden gewesen.
Auch sonst hatte sich an der Grünanlage nichts verändert. Unwillkürlich blickte Helena zu einem schmalen Pfad hinüber, der sich zwischen den Bäumen verlor. Er führte zu dem alten Weidenbaum.
Trotz der vielen Jahre, die vergangen waren, standen ihr die zärtlichen Stunden, die sie dort mit Oscar verbracht hatte, so lebendig vor Augen, als wäre es vergangene Woche gewesen. Unbegreiflich, dass sie sich nun beide verhielten, als habe dieses Anwesen keine Bedeutung für sie.
Helena war zu sehr in ihre Gedanken versunken, um zu bemerken, wie eindringlich Oscar sie beobachtete. Ihr sehnsüchtiger Blick auf den verschlungenen Pfad war ihm nämlich keineswegs entgangen. Abrupt blieb er stehen.
„Ich muss zurück ins Hotel und an meinen Computer, ich habe einige dringende Angelegenheiten zu regeln.“ Er blickte auf die Uhr. „Es ist auch gleich eins, wir sollten eine Kleinigkeit zu Mittag essen.“
Obwohl sie keinen Hunger verspürte, stimmte Helena sofort zu und folgte ihm zum Auto. Eine Zeit lang konzentrierte sich Oscar ganz auf die Straße und schwieg. Doch dann räusperte er sich. Er hatte sich die Sache gut überlegt und wählte seine Worte mit Bedacht.
„Helena, ich möchte dir einen Vorschlag machen, der bestimmt in deinem Sinne ist. Wir lassen Mulberry Court schätzen, nehmen die Hälfte, runden sie großzügig auf und rechnen die Inflationsrate für ein Jahr dazu. Du könntest über das Geld sofort frei verfügen. Nimm die beiden Porzellanfiguren mit, wenn das wirklich alles ist, was du möchtest, und du bist alle Sorgen los und brauchst dir keine Umstände mehr zu machen.“
Helena zuckte nicht mit einer Wimper. Mit unbewegter Miene sah sie geradeaus.
„John Mayhew könnte die Formalitäten regeln, und unser Leben würde ganz normal weiterlaufen“, redete er weiter auf sie ein, während er das Auto vor dem Hotel parkte.
Er stellte den Motor ab und blickte Helena
Weitere Kostenlose Bücher