Julia Extra Band 0354
„Hoffentlich werden es nette Menschen sein – die Vorstellung, Mulberry Court in fremdem Besitz zu sehen, ist schrecklich für mich. Es fühlt sich so falsch an. Niemandem wird dies Haus so viel bedeuten wie uns.“
Oscar antwortete nicht, und der Rest der Mahlzeit verlief schweigsam, bis Oscar schließlich sein Besteck auf den Teller legte. „Und jetzt wirst du mir genau erzählen, was sich hier wirklich ereignet hat“, meinte er und griff zu seinem Weinglas, ohne Helena dabei anzusehen.
Damit hatte Helena gerechnet. Sie räumte das Geschirr zusammen und stand auf, um Espresso zu machen.
„Es war wirklich nichts von Bedeutung. Ein Sturm im Wasserglas sozusagen“, meinte sie, während sie sich mit der Maschine beschäftigte.
„Nichts von Bedeutung? Heleena !“ Oscars Stimme vibrierte vor Erregung, und Helena bekam weiche Knie. Wie immer, wenn er ihren Namen griechisch aussprach, wurde sie schwach. „Ich fasse es immer noch nicht! Wieso hast du nicht auf der Stelle die Polizei angerufen, nachdem du die Einbrecher entdeckt hattest? Was in aller Welt ist in deinem Kopf vorgegangen?“
Helenas Hand zitterte leicht, als sie die Maschine abstellte. „Wo soll ich beginnen?“, fragte sie und versuchte, dabei ruhig zu wirken. Vergebens.
„Am Anfang natürlich, wo sonst?“
Sie schenkte den Espresso ein und stellte die Tassen auf den Tisch. „Es war in der Nacht zum Sonntag. Ich bin durch ein Geräusch aufgewacht und wollte herausfinden, was es gewesen ist.“ Trotzig sah sie ihn an. „Ich war einfach nur neugierig, Angst hatte ich überhaupt nicht.“
Oscar schien sie mit seinem Blick durchbohren zu wollen.
„Ich bin aufgestanden, nach unten gegangen und habe durchs Fenster in den Garten gesehen. Zwei Gestalten – Männer, wie ich zuerst dachte – hantierten am Schloss des Hintereingangs. Dann hustete einer von ihnen. Es war ein schreckliches Geräusch, als ob jemand erstickte.“ Sie schüttelte sich. „Mittlerweile hatte ich erkannt, dass die vermeintlichen Männer nichts weiter als halbwüchsige Jungen waren, von denen es dem einen noch dazu sehr schlecht ging. Ich musste etwas unternehmen. Also habe ich sie in die Küche geholt.“
„Du hast … was?“ Oscar fehlten die Worte.
„Was hätte ich sonst tun sollen?“
„Die Polizei anrufen natürlich!“ Er war außer sich.
„Damit hätte ich mich nur blamiert. Ich hatte es nicht mit bewaffneten Gangstern zu tun, sondern mit zwei Jungen. Sie hielten ein Schlüsselbund in der Hand und probierten einen Schlüssel nach dem anderen aus, um das Schloss zu öffnen. Der naheliegende Gedanke, die Tür könnte zusätzlich von innen durch einen Riegel gesichert sein, ist den beiden ‚Experten‘ überhaupt nicht gekommen.“ Helena lächelte.
„Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt! Sie waren zu zweit und hätten dich leicht überwältigen und das Haus ausräumen können. Warum hast du nicht wenigstens Benjamin angerufen? Er wäre auch mitten in der Nacht gekommen und in wenigen Minuten zur Stelle gewesen.“
„Weil er nicht da war. Er hat seine Kinder in London besucht.“
Für Oscar war das alles unfassbar. Helena hatte also die Nacht mutterseelenallein auf Mulberry Court verbracht! Unwillkürlich ballte er die Hände zu Fäusten. Das würde niemals wieder passieren, das schwor er sich.
„Jedenfalls habe ich die beiden mit in die Küche genommen und sie dazu gebracht, mir alles zu erzählen“, redete Helena weiter. „Sie hatten ihrer Mutter vorgemacht, bei einem Freund zu übernachten, wollten aber in Wirklichkeit ein Abenteuer erleben und im Wald kampieren. Als es dann nach Sonnenuntergang empfindlich kalt wurde, kriegte Harry – der Jüngere von den beiden und gerade erst zwölf – einen Asthmaanfall, und sie bekamen es mit der Angst zu tun.“
„Und warum sind sie dann nicht schnellstens zurück nach Hause gegangen?“
„Wie stellst du dir das denn vor?“ Helena war entsetzt. „Was meinst du wohl, wie ihre Mutter auf den Schwindel reagiert hätte!“
„Und weshalb sind sie ausgerechnet hierhergekommen? Bestimmt, weil sie das Haus für unbewohnt hielten und hier Randale machen wollten.“
Oscars feindselige Haltung trieb Helena die Zornesröte ins Gesicht. „Leider muss ich dich enttäuschen. Sie wollten nichts zerstören, denn sie kennen das Haus sehr gut und mögen es. Auf ihren Runden an Halloween und zu Weihnachten haben sie sich bei Isobel stets die obligatorischen Süßigkeiten abgeholt und sind von ihr immer
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