Julia Extra Band 0354
Benjamin fragen, ob sie Rosie spazieren führen durfte.
Sie hatte gerade die Küche aufgeräumt, als es klingelte. Wer das wohl sein mochte? Benjamin konnte es nicht sein, denn er klopfte stets am Hintereingang, und Oscar hatte einen eigenen Schlüssel. Schnell lief sie zur Tür und öffnete.
Eine junge, dunkelhaarige, elegant gekleidete und auffallend attraktive Frau mit zwei kleinen Jungen an der Hand blickte sie unsicher an.
„Mrs Theotokis?“, fragte sie. „Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber ist Mr Theotokis zu sprechen?“ Ihr Akzent verriet, dass sie keine Engländerin war.
„Leider nicht.“ Verstohlen musterte Helena die äußerst kultiviert wirkende Fremde. „Kann ich etwas ausrichten?“
„Nein, es handelt sich um eine sehr persönliche Angelegenheit. Könnten Sie mir sagen, wann ich es noch einmal versuchen kann? Ich werde seine Zeit nicht lange in Anspruch nehmen, aber die Kinder möchten ihn unbedingt sehen. Es ist sehr wichtig.“
Helena sah die beiden Knaben an. Es waren ausgesprochen hübsche Kinder, mit dunklem Teint und dichtem schwarzen Haar. Wer mochten sie sein? Sie schluckte.
„Es tut mir wirklich ausgesprochen leid, aber ich kann Ihnen nicht mehr anbieten, als Mr Theotokis etwas auszurichten.“
„Dann geben Sie ihm bitte dies.“ Sie zog einen dicken Briefumschlag aus der Tasche und reichte ihn Helena. „Ich habe keine Zeit, denn wir fliegen schon heute Nachmittag nach Hause – wir haben hier Ferien gemacht. Wir bedauern sehr, Mr Theotokis nicht angetroffen zu haben, doch irgendwie wird es mir schon gelingen, Verbindung mit ihm aufzunehmen.“
Sie schüttelte Helena zum Abschied die Hand. „Entschuldigen Sie bitte die Störung und alles Gute.“
Die Fremde ging mit den Kindern zu einem Taxi, das in der Einfahrt auf sie gewartet hatte, und die drei stiegen ein. Als das Auto den Hof verließ, drehten sich die Jungen noch einmal zu ihr um und sahen sie aus großen Augen an.
Helena ging in die Bibliothek, öffnete die Fenster weit und atmete tief die würzige, feuchte Frühlingsluft ein. Zufällig drang ein Sonnenstrahl durch die grauen Wolken und fiel genau auf die Vitrine mit den Porzellanfiguren. Seit Helena sich erinnern konnte, standen der Schäfer und die Schäferin an diesem Platz.
Das Paar faszinierte Helena stets aufs Neue, und auch jetzt trat sie näher, um es genauer zu betrachten. Der Künstler schien den Figuren Leben eingehaucht zu haben, denn jeder, der sich die Mühe machte, genau hinzusehen, erkannte, in welcher Beziehung die beiden zueinander standen.
Beschützend stand der Schäfer hinter seiner Schäferin, hatte den Kopf geneigt und sah mit Bewunderung und Achtung auf seine Angebetete nieder. Diese erwiderte seinen Blick so innig und hingebungsvoll, dass es Helena ins Herz schnitt.
Wieso waren ihr die Sinnlichkeit und Liebe, die sich in Mimik und Gestik des Paares ausdrückten, noch nie aufgefallen? Hatte sie es einfach übersehen, oder bildete sie sich heute etwas ein?
Als erhoffte sie sich Rat, ging sie zu Isobels Porträt. Isobel schien ihr wirklich etwas mitteilen zu wollen. Doch was? Helena seufzte. Sie würde Oscar bitten, auch das Gemälde behalten zu dürfen. Es würde einen Ehrenplatz in ihrem neuen Heim bekommen.
Am frühen Nachmittag kehrte Oscar zurück. Er fand Helena lesend im Wintergarten vor. Sie trug ein geblümtes Baumwollkleid, hatte das Haar locker im Nacken zusammengefasst und wirkte mädchenhaft jung.
Er räusperte sich. „Ich habe übrigens zufällig John Mayhew in der Stadt getroffen“, begann er.
„So?“ Sie blickte von ihrem Buch nicht auf.
„Er hat ein Angebot von der Hotelkette Amethyst bekommen. Sie wollen Mulberry Court mit dem gesamten dazugehörigen Land kaufen, um hier ein Wellness- und Konferenzzentrum zu errichten – mit Seminarräumen, Therapieeinrichtungen, Schwimmbad, Sauna und großem Fitnessbereich.“ Oscar ging einige Schritte nach vorn. Vor der großen Glastür blieb er stehen und blickte in den Garten. „Im Prinzip sind sie nur an Grund und Boden interessiert, weil die Lage ihrer Meinung nach für ein solches Projekt ideal ist. Alle bestehenden Gebäude würden abgerissen und Garten und Park umgepflügt werden“, berichtete er in nüchternem Ton.
„John Mayhew hat Amethyst hoffentlich erklärt, dass sich in den nächsten zwölf Monaten hier überhaupt nichts tut.“ Mit lautem Knall klappte sie ihr Buch zu.
„Natürlich, aber ein Jahr spielt für ein derartiges Projekt keine
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