Julia Extra Band 159
träumte sie davon, daß sie auf einem ausgestopften Pferd saß, das sich im Regen völlig auflöste. Sie fand sich in einem Heuhaufen wieder, der sich auf einmal in einen Berg von Knochen verwandelte, auf den sich Hunderte von gefräßigen Geiern stürzten.
Zum Glück wachte sie in diesem Moment auf. Es war zwar erst halb fünf Uhr, aber sie wußte, daß sie doch nicht mehr schlafen konnte. Deshalb schlüpfte sie in Jeans und Pulli und schlich die Treppe hinunter und auf die Veranda hinaus in die noch kühle Morgenluft. Außer ihr war noch niemand auf, und es würde bestimmt auch noch mindestens eine Stunde vergehen, bis jemand auftauchte. Das gab ihr Zeit genug, ihren Plan auszuführen.
Der Wallach sah ihr mißtrauisch entgegen und wich schnaubend vor ihr zurück, als sie ihm zu nahe kam. Aber als sie die Hand ausstreckte und leise auf ihn einsprach, beruhigte er sich wieder und ließ zu, daß sie ihm das Halfter überstreifte.
Soviel zu Cals Schauermärchen, dachte Alex und führte den Wallach aus der Koppel. Sie hatte Pferde geritten, die bei weitem problematischer waren als er.
Der frühe Morgen war die schönste Zeit zum Reiten. Alex freute sich schon auf Cals Gesicht, wenn sie beim Frühstück mit ihrem Abenteuer herausrückte. Vielleicht würde er dann endlich aufhören, sie wie eine blutige Anfängerin zu behandeln!
Der Wallach war größer als Minty, aber sie schaffte es ohne große Schwierigkeit, den Sattel auf seinen Rücken zu hieven und den Gurt anzuziehen, ohne daß er sich über Gebühr gewehrt hätte. Stolz schwang Alex sich hoch.
Aber wie immer kam auch hier der Hochmut - fast - vor dem Fall. Denn auf einmal bockte das Pferd, und Alex konnte sich gerade noch am Sattelhorn festhalten. Sie japste nach Luft, als er unsanft auf allen vieren zugleich landete. Dann schnellte er wieder hoch, und jetzt verwandelte der Schock sich in Zorn. Diesem Gaul würde sie schon zeigen, mit wem er es zu tun hatte! Sie preßte die Schenkel zusammen und saß die beiden nächsten Sprünge aus. Jeder Knochen in ihrem Leib wurde dabei erschüttert, aber sie gab nicht nach.
Der Wallach hörte so plötzlich auf, wie er begonnen hatte, und drehte den Kopf zu ihr um. In seiner Überraschung wirkte er so komisch, daß Alex unwillkürlich lachen mußte.
„So leicht wirst du mich nicht los", erklärte sie ihm. „Wir beide werden jetzt einen kleinen Ausflug machen, ob es dir paßt oder nicht."
Sie ritt ihn im Schritt zum Haupttor und wollte ihm gerade die Fersen geben, als Cal auf einmal wie aus dem Nichts auftauchte. Ihr Herz setzte einen Schlag aus.
„Sie werden nirgends hinreiten", erklärte er. „Jedenfalls nicht auf diesem Pferd."
Alex schob kampfbereit das Kinn vor. Diesmal würde sie ihren Willen durchsetzen und sich nichts verbieten lassen! „Sie sind ja offenbar schon eine Weile da und haben also mitbekommen, daß ich zurechtkomme. Wo ist also das Problem?" wollte sie wissen. „Oder sind Sie einfach nur sauer, weil ich mich Ihrem Befehl widersetzt habe?"
Ein kleiner Muskel zuckte an seinem Mundwinkel. „Ich habe nicht vor, mit Ihnen zu streiten", gab er ausdruckslos zurück. „Sie steigen entweder freiwillig ab, oder ich hole Sie höchstpersönlich da herunter. Die Wahl liegt bei Ihnen."
Er machte eine schnelle Bewegung auf sie zu, als ihre Augen aufblitzten, und griff nach dem Zügel. „Versuchen Sie es, und Sie werden es bereuen!" warnte er sie.
Der Wallach ließ sich bemerkenswert wenig von dieser Auseinandersetzung beeindrucken. Er ist genauso gefährlich wie ein Shetlandpony! dachte Alex. Sie kochte innerlich.
„Das hätte John Wayne nicht besser sagen können", spottete sie. Sie dachte gar nicht daran, ihm zu gehorchen. „Sie sollten zum Film gehen."
„John Wayne hätte Sie längst vom Pferd geholt und übers Knie gelegt", erwiderte er ungerührt. Dann wurde sein Blick nachdenklich. „Vielleicht gar keine schlechte Idee ..."
Die Klügere gibt nach, dachte Alex und verkniff sich eine passende Erwiderung. Eine Meisterleistung der Selbstbeherrschung. Aber sie traute ihm durchaus zu, daß er seinen Worten entsprechende Taten folgen ließ.
„Vielleicht sollten wir zusammen zum Film gehen", meinte sie und lachte, als ihr die Komik an dieser Szene zum Bewußtsein kam. „Ich als widerspenstige, temperamentvolle Heldin, Sie als der starke, strahlende Held."
Lachpünktchen blitzten in seinen Augen auf, und er lächelte gegen seinen Willen. „Ich gebe Ihnen gleich Ihren starken Helden, wenn
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