Julia Extra Band 159
hatte dieses Profil eine sehr beunruhigende Wirkung auf sie.
„Alles in Ordnung", teilte sie ihm mit. „Jingo und ich waren bis jetzt alle beide sehr brav"
„Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben", erwiderte er trocken. „Was wollte Royd von Ihnen?"
Dasselbe, was die meisten Männer wollen, dachte sie. Aber sie sprach es nicht aus. „Er wollte sich nur ein bißchen die Zeit vertreiben, nehme ich an."
„Er soll lieber seine Arbeit ordentlich erledigen, denn dafür bezahle ich ihn. Machen Sie ihm also keine schönen Augen, und ermutigen Sie ihn nicht noch zusätzlich."
Er war schon wieder weg, bevor sie auch nur zu einer Antwort ansetzen konnte. Was für eine Frechheit! Als brauchte Royd irgendeine Ermutigung! Außerdem interessierte er sie nicht im geringsten.
Sie war immer noch verärgert, als sie die Herde erreicht hatten. Aber über der Aufregung der nächsten halben Stunde vergaß sie alles andere. Sie mußte sich zu ihrem Bedauern auf die Rolle der Zuschauerin beschränken, als die Tiere zusammengetrieben wurden, aber natürlich sah sie ein, daß es nicht anders ging, wenn sie die Arbeit nicht behindern wollte.
Greg gab eine überraschend gute Vorstellung ab, fand sie, vor allem nachdem ihm angeblich jedes Interesse an der Rancharbeit
fehlte. Aber vielleicht war es nicht so sehr die Arbeit, sondern eher das ungewohnte Sich-fügen-Müssen, gegen das er rebellierte.
„Ich nehme an, Greg hat auch viel mit den Gästen zu tun", sagte sie zu Margot.
„Nicht so oft, wie er es gern hätte", erwiderte ihre Schwägerin und errötete ein wenig. „Ich fürchte, ich habe diese Seite des Ranchlebens ein bißchen übertrieben, um Eindruck auf ihn zu machen."
„Ich kann mir nicht vorstellen, daß das nötig war", behauptete Alex nicht ganz wahrheitsgemäß, aber gelegentlich war eine kleine Notlüge nicht nur erlaubt, sondern geradezu Gebot. Margot durfte nicht daran zweifeln, daß Greg sie ebenso liebte wie sie ihn, wenn die beiden überhaupt eine Chance haben sollten. „Er ist ganz verrückt nach dir", behauptete sie mit aller Überzeugungskraft, die sie aufbringen konnte. „Er zeigt es vielleicht nicht immer so, aber so sind die Engländer eben."
Margot lächelte ein wenig. „Das habe ich schon öfter gehört. Aber es stimmt nicht. Jedenfalls nicht immer." Sie setzte den Fuß in den Steigbügel, als Cal ein Zeichen gab. „Es geht wieder weiter."
Sie ritten in gemächlichem Tempo. Der Geruch der Tiere hing in der Luft, ihr dumpfes Stampfen auf dem Gras war gleichförmig und rhythmisch. Alex war glücklich. Die Sonne schien, und über den Himmel zogen sich Federwolken wie ein dünner Hauch. Davor hoben sich scharf und klar die Berge ab.
Cal ritt am Schluß der Herde und trieb die Nachzügler an. Er und sein Pferd Jed waren ein eingespieltes Team und vermittelten vollkommene Harmonie. Mochte seine männliche Überheblichkeit sie auch immer wieder auf die Palme bringen, so konnte Alex doch nicht leugnen, wie sehr sie sich zu ihm hingezogen fühlte - viel zu sehr für die kurze Zeit, die sie hier auf der Ranch verbringen würde. Es würde ihr schon schwer genug fallen, ihre Traumwelt zu verlassen, ohne daß sie die ganze Sache noch dadurch erschweren mußte, daß sie eine Schwäche für diesen Mann entwickelte.
„Gratulation", sagte da Royd neben ihr. „Sie kommen wirklich gut mit Jingo zurecht. Er hat seinen eigenen Kopf, aber bei Ihnen traut er sich wohl nicht, ihn durchzusetzen. Sie sind ganz offenbar um einiges zäher, als Sie aussehen." Er grinste. „Vielleicht sind Sie ..."
Er unterbrach sich, als weiter vorne plötzlich ein Stier aus dem Teil der Herde ausbrach, für den er eigentlich zuständig war, und machte sich sofort an seine Verfolgung. Fast im selben Augenblick machte sich unmittelbar vor Alex ein zweiter Stier selbständig, und sie spürte, wie Jingo die Muskeln anspannte. Halten konnte sie ihn nicht, sie konnte sich ihm nur auf Gedeih und Verderb ausliefern und versuchen, sich im Sattel zu halten, als er mit unglaublicher Geschwindigkeit und Beweglichkeit hinter dem Ausbrecher herjagte, um ihn wieder in die Herde zurückzutreiben.
„Fantastische Arbeit", schrie Royd. „Weiter so, Mädchen!"
Alex lachte. Sie war wie im Rausch. „Klar!"
Margot kam zu ihr geritten und wich scharf aus, als Jingo plötzlich versuchte, ihr Pferd in den Hals zu beißen.
„Cal sagt, du sollst zurückkommen!" schrie sie.
„Warum?" wollte Alex wissen. Sie hatte Schwierigkeiten, den Wallach
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