Julia Extra Band 356 - Ebook
sie je auf die Idee gekommen, dass Gavin der richtige Mann für sie sein könnte? Wie hatte sie sich einbilden können, dass sie genug für ihn empfand, um ihn zu heiraten?
Sie wusste, warum. Nach drei langen einsamen Jahren, in denen sie ihre Mutter bis zum Schluss gepflegt hatte, hatte sie sich nach Liebe gesehnt, nach einer Familie, nach einer Zukunft. Sie war Gavin wie ein reifer Pfirsich in den Schoß gefallen. Das Bedürfnis nach Liebe war so stark gewesen, dass sie in das Konzept der Liebe verliebt gewesen war. Glücklicherweise war sie zur Vernunft gekommen, bevor es zu spät gewesen wäre.
„Gibt es nicht eine Helmpflicht?“, fragte sie zaghaft. Sie rechnete mit einer ungeduldigen Reaktion von ihm, die auch prompt kam.
„Hatten Sie nicht gesagt, dass Sie von hier weg wollen?“
„Ja, aber …“
„Was denn? Nur, wenn es vorschriftsmäßig ablaufen kann?“
Der Spott war überdeutlich in seiner Stimme zu hören, und nie im Leben hatte sie sich mehr gewünscht, ihr konservatives Wesen in den Wind zu schlagen und mit beiden Händen zu greifen, was das Leben ihr bot. Es war dieses ständige Vorsichtig- und Vernünftigsein, das sie in die Verlobung mit Gavin getrieben hatte. Ihr schauderte, wenn sie daran dachte, wie es weitergegangen wäre …
Jetzt offerierte das Leben ihr die Möglichkeit, mit diesem Mann zu fliehen. Mit dem Diablo. Sie sollte die Chance beim Schopf packen. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, warf Carlos ihr seinen Helm zu. Sie fing ihn gerade noch auf, bevor er auf dem Boden gelandet wäre.
„Hier … fühlen Sie sich jetzt wohler, señorita ?“
Sein entnervter Tonfall bewirkte, dass sie die Situation von seiner Warte her sah. Für ihn musste das Ganze etwas Surreales haben. Was hatte er sich wohl gedacht, als er die Straße entlanggebraust war und plötzlich eine Braut am Straßenrand im Regen stehen sah? Eine Vision in weißer Spitze und Seide, mit strassbesetzten Satinpumps, die sich übrigens mehr und mehr auflösten. Sie hatte die Schuhe mit dem flachen Absatz bewusst gewählt, um Gavin vor dem Altar nicht zu überragen. Bei Carlos wäre das nicht nötig gewesen, er war gute fünfzehn Zentimeter größer als sie.
„Nur wird das da“, er zeigte auf ihre aufgetürmte Frisur, in der der Brautschleier mit einer kleinen Tiara festgesteckt war, „nicht in den Helm passen.“
„Ich weiß. Könnten Sie vielleicht …?“
Sie hätte ihn nicht anschauen dürfen. Humor und Wärme waren in die grünen Augen zurückgekehrt, jagten ihren Puls wieder in die Höhe. Ihr Herz schlug so hart, dass sie meinte, es müsse unter der Seidenkorsage zu sehen sein. Hitze schoss durch ihre Adern, die Kehle wurde ihr so eng, dass sie den Kloß, der sich plötzlich gebildet hatte, nicht einmal hinunterschlucken konnte.
„… könnten Sie vielleicht helfen, mir dieses Ding abzunehmen?“
„Sehe ich etwa aus wie eine Brautjungfer?“, murmelte er, doch dieses Mal lag kein Spott in seiner Stimme. Und seine Augen funkelten noch immer amüsiert, als er auf sie zukam.
„Ziehen Sie einfach die Haarnadeln heraus. Wenn Sie mein Kleid in Fetzen reißen können, dann schaffen Sie das hier auch.“ Die Vorstellung, wie er ihr das Kleid wirklich komplett vom Körper riss, jagte ihr das Blut in die Wangen.
„ Por supuesto … Natürlich, lassen Sie mich sehen.“
Sie wusste nicht, ob er sie damit auf der Stelle festhalten oder sie beruhigen wollte, aber er hob die Hand an ihre Wange, drehte sanft, fast zärtlich, ihren Kopf, um in dem fahlen Licht die vor ihm liegende Aufgabe zu begutachten.
Die Berührung ließ sie erstarren. An einem Tag, an dem ein Schock dem nächsten gefolgt war, schien dieser sachte Kontakt der verstörendste zu sein. Warm, tröstend, beruhigend. Ihr war, als würde sie innerlich schmelzen. Sie wollte sich in diese Berührung schmiegen, wollte ihre Wange tiefer in seine Handfläche drängen und warten, bis alle Anspannung aus ihr herausgeflossen war.
Vermutlich würde er ungeduldig an Haarnadeln und Schleier zerren. Sie hätte schließlich auch nicht die nötige Geduld für die Aufgabe, würde sie auch so schnell wie möglich hinter sich bringen wollen. Anspannung ging von ihm aus, wie er da an ihrer Seite stand. Martha erkannte es, weil sie sich ebenso nervös und aufgerieben fühlte.
Was hatte er gesagt? Dass er vor seiner Vergangenheit wegrannte und einfach alles hinter sich gelassen hatte? Was genau? Und wo? Weder sein Akzent noch seine gebräunte Haut gehörten in
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