Julia Extra Band 356 - Ebook
die Moorlandschaft im Norden Englands. Mit dem schwarzen langen Haar wirkte er hier fehl am Platze wie ein geschmeidiger Panther, der sich in nebelverhangene Hügel verirrt hatte. Bei dem Gedanken schnappte Martha unwillkürlich leise nach Luft.
„Qué?“ Carlos hatte es gehört und hielt inne mit seiner Aufgabe. Er sah ihr in die Augen, als wollte er ihr tiefstes Geheimnis ergründen. „Tue ich Ihnen weh?“
„Nein, nein“, versicherte sie hastig.
„Wehtun“ umschrieb keineswegs das, was in ihr vorging. Alle Nerven in ihr vibrierten, in ihrem Magen flatterte es wild, ein Prickeln lief über ihre Haut, stechend wie tausend heiße Nadeln. Und Sehnsucht begann in ihr zu brennen. Die Sehnsucht, diesen Mann zu berühren und von ihm berührt zu werden.
„Ich will von hier weg.“ Mit dir. Die letzten beiden Worte hallten nur als stummes Echo in ihr. Martha wagte es nicht, sie laut auszusprechen. War sich nicht sicher, was die beiden Silben auslösen würden, wusste nur, dass sie sich davor fürchtete.
„Dann lassen Sie uns fahren.“
Sein Blick hielt ihren noch für einen langen Moment gefangen, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder den Haarnadeln widmete. Und mit jeder Haarnadel, die er herauszog und die mit einem leisen Klirren auf dem Asphalt landete, schien es Martha, als würde ihre Stimmung sich Grad um Grad aufhellen. Sie fühlte sich immer leichter, immer freier. Die Knoten lösten sich, die Anspannung lockerte sich, Martha hatte das Gefühl, wieder viel gerader und mit gereckten Schultern stehen zu können. Entsetzen und Abscheu, die sich in ihrer Seele festgesetzt hatten, schwanden, stattdessen breiteten sich Hoffnung und eine seltsame freudige Aufregung in ihr aus.
„Warum sind Sie eigentlich von Ihrer eigenen Hochzeit geflohen? Was hat Ihnen der Typ angetan?“
Fragte er das nur, um sie abzulenken? Oder interessierte es ihn tatsächlich? Da er ihr gerade den Schleier abnahm, konnte sie sein Gesicht nicht sehen. Was jedoch wichtiger war … er konnte ihr Gesicht auch nicht sehen. Und deshalb fiel es ihr leicht, auf seine Frage einzugehen.
„Sie wollen wissen, warum ich allem den Rücken gekehrt habe und ohne einen Blick zurück gegangen bin?“ Sie hob das Kinn, gab sich den Anschein, als würde es ihr absolut nichts ausmachen, auch wenn sie ahnte, dass sie nicht sehr überzeugend wirkte.
„Sie müssen zugeben, dass es nicht der Normalfall ist. Inzwischen würden Braut und Bräutigam wahrscheinlich längst …“
„Was? Sich verliebt in die Augen schauen, während sie das Gelübde ablegen? Haben Sie Mitleid mit dem armen verlassenen Bräutigam, den die schnöde Braut rücksichtslos versetzt hat? Das ist unnötig. Er hat sich nämlich schon vor der Trauung mit ungezügeltem heißen Sex mit meiner Brautjungfer getröstet, und sicherlich genießt er den auch jetzt – wenn er sich nicht längst verausgabt hat … in dem Bett, das wir heute Nacht hätten teilen sollen.“
„ Das hat der Bastard getan?“ Jähe Wut loderte in Carlos auf, seine Finger griffen fester in ihr Haar. Martha musste den gepeinigten Aufschrei zurückhalten. Doch gleichzeitig mit dem kurzen Ziehen an ihrer Kopfhaut flutete unglaubliche Erleichterung durch sie hindurch – und helles Entzücken. Er machte sich genug aus ihr, um wütend über das zu sein, was Gavin ihr angetan hatte. Sein Ärger war Balsam für ihre geschundene Seele.
„Ich habe ihn … sie in flagranti erwischt. Deshalb habe ich dann auch zugesehen, dass ich so schnell wie möglich wegkomme.“ Sie wollte unbedingt schnippisch klingen. „Die beiden waren so in ihre Aktivitäten vertieft, dass sie mich nicht bemerkt haben. Ich glaube, niemand hat mich bemerkt. Ich habe mich einfach umgedreht und bin losgelaufen, ohne von irgendjemandem gesehen zu werden.“
Bis sie die Straße erreicht hatte, die über das Moor führte. Dann war sie zu erschöpft und ausgekühlt in dem dummem Hochzeitsstaat gewesen. Deshalb war sie stehen geblieben und hatte darauf gehofft, bei jemandem mitfahren zu können.
Das andere würde sie ihm nicht erzählen. Dass sie für Gavin keine Frau, sondern nur die Möglichkeit zu einem leichten Einkommen gewesen war. Sie hatte es ja selbst noch nicht verarbeitet.
„Ich würde mich zu gern um diesen Mistkerl kümmern. Kein Mann darf eine Frau derart behandeln. Wir sollten dorthin zurückfahren.“
„Und dann was?“, fragte sie herausfordernd. „Wollen Sie etwa in das Hotel stürmen und ihn zum Duell herausfordern? Nein
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