Julia Extra Band 356 - Ebook
ruhig gehen. Sie würde kein einziges Wort sagen, um ihn aufzuhalten.
Also presste sie die Lippen zusammen und wartete, die Nerven zum Zerreißen gespannt. Sie verbot sich sogar, auf Geräusche zu lauschen, hörte nichts, bis die Tür lautstark ins Schloss schlug. Jetzt wusste sie, dass sie allein im Zimmer zurückgeblieben war.
Und jetzt? Martha stieß bebend die Luft aus den Lungen. Wohin sollte sie jetzt gehen?
Jungfrauen klammern. Carlos’ Worte gingen ihr immer wieder durch den Kopf. Nun, wenn er das dachte, gab es nur eines, was sie tun konnte.
Hätte er gewusst, dass sie noch nie mit einem Mann geschlafen hatte, dann wäre diese Nacht nie passiert. Carlos hätte ihr nie die Unschuld genommen, er wollte nichts mit Jungfrauen zu tun haben.
Jungfrauen klammern. Er irrte. Sie würde ihm beweisen, wie sehr. Sie würde aus seinem Leben verschwinden und ihm seinen Frieden lassen.
Obwohl sie bezweifelte, dass es Frieden in seinem Leben gab. Wie hatte er gesagt? Wir sind uns wahrscheinlich ähnlicher, als Sie denken. Beide laufen wir vor unserer Vergangenheit davon.
Damit konnte sie ihm nicht helfen. Aber sie konnte ihm zeigen, dass es Leute gab, die ihr Wort hielten. Sie hatte gesagt, dass sie nichts von ihm wollte. Er hatte sie beide als Schiffe in der Nacht bezeichnet, und die Nacht war vorüber.
Sie hatte nicht vor, noch hier zu sein, falls er zurückkam. Sie hatte doch schon die Enttäuschung auf dieses attraktive Gesicht ziehen sehen. Noch einmal würde sie es nicht ertragen.
Bevor sie es sich anders überlegen konnte, stand Martha vom Bett auf und sammelte ihre Sachen zusammen.
5. KAPITEL
Vier Monate später
Als Martha das Donnern der Hubschrauberrotoren hörte, rannte sie zur Eingangstür der Estanzia und riss sie auf. Sie sah zu, wie der Helikopter etwas weiter entfernt vom Haupthaus landete. Er wirbelte Staub auf und drückte die Grashalme nieder, aber so mühelos und geschickt, wie der Pilot die Kufen des großen Metallvogels auf den Heliport aufsetzte, hatte er das bestimmt schon Dutzend Mal getan. Nicht einmal die nervösen Polopferde, die auf der saftigen Koppel grasten, ließen sich davon stören, sie hoben nur kurz die Köpfe.
„Dein Besuch ist angekommen, Javier“, rief Martha ins Haus zurück, und gleich darauf war das Summen eines elektrischen Rollstuhls zu vernehmen.
„Ja, ich habe es auch gehört.“
Javier Ortega stellte sich mit dem Rollstuhl ans Fenster, sodass er mitverfolgen konnte, wie die Rotoren des schwarz-goldenen Hubschraubers sich immer langsamer drehten und schließlich zum Stillstand kamen. Dabei nickte er leicht vor sich hin, so als würde er tiefe Zufriedenheit empfinden.
„Er wird länger bleiben“, sagte er in seinem gewählten, etwas schleppenden Englisch. „Ich gehe davon aus, dass du das Zimmer vorbereitet hast?“
„Selbstverständlich.“ Martha lächelte. Sie dachte daran, dass Javier auf diesen einen bestimmten Raum bestanden hatte. „Genau, wie du es gewünscht hast. Ich habe mich persönlich um alles gekümmert.“
Schon erstaunlich, dachte sie. Wie leicht es ihr gefallen war, sich auf der Estanzia mit dem Namen El Cielo einzurichten. Und wie passend dieser Name gewählt war. Sie sah über die saftigen grünen Weiden hinaus, in deren Mitte das große Haus lag, bis hin zu der beeindruckenden Bergkette am Horizont. Der natürliche Wald war in einen großen Park verwandelt worden, in dem ein großer See still und schillernd in der Abendsonne lag. Ja, es war wirklich der Himmel auf Erden, und für sie war dieses Anwesen zu einem sicheren Zufluchtsort geworden, als ihr Schicksal eine so unerwartete Wende genommen und ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt hatte.
Ihre Gedanken wanderten zurück zu jenem kleinen, leicht schäbigen Hotelzimmer, in dem sie eine wilde Nacht der Leidenschaft – nicht einmal eine ganze Nacht – mit einem Mann verbracht hatte, der sich Carlos Diablo genannt hatte. Es war nicht sein richtiger Name, wie sie herausgefunden hatte, als ihr klar geworden war, dass sie unmöglich in einem zerrissenen Brautkleid das Hotel verlassen und sich in die Öffentlichkeit wagen konnte.
Carlos’ Reisetasche hatte noch immer dort gestanden, wo er sie hatte fallen lassen. Aus dem klaffenden Spalt hatte ein sauberes rotes T-Shirt hervorgelugt. Martha hatte in der Tasche nachgesehen und einen nicht mehr ganz neuen Trainingsanzug gefunden. Die Hose war zwar viel zu groß und zu weit, aber mit umgeschlagenen Hosenbeinen und einem Gürtel
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