Julia Extra Band 356 - Ebook
aus der zweiten Jeans, auf die sie gestoßen war, hatte sie die Hose passend gemacht. Carlos hatte nicht übertrieben damit, dass er nicht viel bei sich hatte. Ganz unten auf dem Boden der Tasche lag allerdings eine Brieftasche, mit Pass und weiteren Reisedokumenten, und die Neugier hatte die Oberhand gewonnen. Martha hatte die Brieftasche herausgenommen und in den Pass geschaut.
Das Foto war offensichtlich schon etwas älter. Der Carlos auf dem Bild sah viel jünger aus. Jünger und zugänglicher, wie jemand, der sich in seiner Haut wohlfühlte. Die Falten und Linien, die sich inzwischen in sein Gesicht eingegraben hatten, gab es damals noch nicht. Was immer ihn dazu bewegt hatte, auf seine einsame Reise zu gehen, hatte ihn offensichtlich innerhalb kurzer Zeit sehr verändert.
Dann hatte sie den Namen gesehen. Er hieß nicht Carlos Diablo, sondern Carlos Ortega. Seinen echten Namen hatte er ihr also verschwiegen, er hatte nicht gewollt, dass sie ihn erfuhr. So wie ihn auch ihr richtiger Name nicht interessiert hatte. Für ihn hatte es nur bei dieser einen Zusammenkunft bleiben sollen. Stimmte überhaupt irgendetwas von dem, was er ihr erzählt hatte? Immerhin war es ein argentinischer Pass, und hier stand auch eine Adresse …
Martha hatte weitergeblättert und den Namen des nächsten Anverwandten gefunden. Javier Ortega. Soweit sie verstand, musste das wohl der Großvater sein. Die Adresse sagte ihr nichts, doch mit einem Namen wie El Cielo musste es wohl ein wunderschöner Ort sein. Nur … hatte Carlos nicht gesagt, dass er keine Familie mehr hatte? Vielleicht lebte dieser Javier Ortega ja gar nicht mehr …
Weitere Anhaltspunkte hatte sie nicht. Sie konnte von Glück sagen, dass Javier Ortegas Estanzia einen so einprägsamen Namen hatte. Sie hatte sich sofort daran erinnert, als sie später nach einer Möglichkeit gesucht hatte, die Ortega-Familie zu kontaktieren.
Sie hatte nach einer E-Mail-Adresse oder vielleicht einer Telefonnummer gesucht, um mit dem Mann Kontakt aufzunehmen, der vor einigen Monaten durch ihr Leben gebraust war und es auf so nachhaltige Weise für immer verändert hatte. Der Mann, den sie nicht vergessen konnte und an den sie von nun an immer erinnert werden würde. Sie hätte niemals damit gerechnet, dass das wunderschöne Haus aus hellen Terracottaziegeln ihr in wenigen Wochen zu einem Zuhause werden sollte.
Ein Zuhause für sie und ihr ungeborenes Kind.
Automatisch strich Martha über ihren leicht gewölbten Bauch. Unter ihrem Herzen wuchs Carlos’ Kind heran, das sie in jener Nacht empfangen hatte. Irgendwie schien es ihr wie ausgleichende Gerechtigkeit, dass sie die Schwangerschaft zwei Wochen nach ihrer Ankunft in seinem Heimatland festgestellt hatte. Sie war unsicher und rastlos gewesen, hatte nicht wirklich gewusst, was sie mit ihrer Zukunft anfangen sollte, nachdem aus der geplanten Ehe nichts geworden war. Deshalb war es ihr wie eine gute Idee erschienen, etwas von ihrem Geld zu nehmen und zu reisen – in die Heimat von Carlos Diablo, da der Mann selbst nicht aufzufinden war.
Zuerst hatte sie gedacht, ihre Periode würde sich aufgrund der Aufregung wegen der Hochzeit, wegen der Reise und der damit verbundenen Klimaveränderung verspäten. Doch bald stellte sich heraus, dass etwas ganz anderes für das Ausbleiben verantwortlich war. Martha war zwar schockiert, insgeheim jedoch auch begeistert. Hatte sie nicht nach einer neuen Richtung für ihr Leben gesucht? Jetzt hatte sie definitiv eine, und es war perfekt. Ein neuer Mensch, den sie lieben konnte, ein neues Leben, um das sie sich kümmern konnte.
Aber Carlos hatte das Recht, von diesem Baby zu erfahren – von seinem Kind. Sie wusste, wie es war, ohne Vater aufzuwachsen, ihr Baby sollte das nicht durchmachen müssen. Allein der Gedanke, ihm diese Mitteilung zu machen, trieb ihr den kalten Schweiß auf die Stirn. Sie bezweifelte, dass er irgendetwas mit dem Baby zu tun haben wollte. Keine Versprechen, nichts Langfristiges … noch immer konnte sie seine Stimme hören, so als würde er direkt neben ihr stehen. Zumindest sollte er wissen, dass er Vater wurde, sie würde also einen Weg finden müssen, es ihm zu sagen.
„Vielleicht ist es ja nur der Pilot.“ Ihr kam der Gedanke, dass es sich vielleicht nur um eine Lieferung für El Cielo handelte.
„Ja, nur der Pilot“, bestätigte Javier. „Seinen Hubschrauber fliegt er immer selbst. Verflucht sei dieser Stuhl! Ich hätte zu ihm hingehen sollen, um ihn zu
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