Julia Extra Band 356 - Ebook
begrüßen.“
Javier Ortega hatte Martha eingeladen, eine Weile auf El Cielo zu bleiben und ihm dabei zu helfen, seinen verlorenen Enkel zu finden. Doch die Umstände hatten sich gegen sie verschworen. Einen Tag nach Marthas Ankunft hatte ihn ein Schlaganfall ereilt, er war mit dem Notarzt ins Krankenhaus gebracht worden, und als er wieder entlassen worden war, nun an den Rollstuhl gefesselt, hatte Martha es nicht über sich gebracht, den alten Mann allein zurückzulassen. Also war sie geblieben, um sich um ihn zu kümmern, und hatte jeden Tag darauf gewartet, dass es Javier gelingen würde, den Kontakt zu Carlos herzustellen … oder wenigstens eine Adresse oder eine Telefonnummer ausfindig zu machen.
Die Augen mit der Hand beschattet, sah Martha zu, wie die Tür des Cockpits aufging. Ein dunkelhaariger Mann von großer Statur sprang leichtfüßig heraus, drehte sich und blickte zum Haus. Etwas an diesen geschmeidigen Bewegungen kam Martha bekannt vor. Dabei war sie überzeugt gewesen, alle Erinnerungen an Carlos sicher und fest verschlossen zu haben. Noch war der Mann zu weit weg, um Genaueres erkennen zu können, doch eine unsichtbare kalte Hand strich über ihre angespannten Nerven. Sie hatte Mühe, die Fassung zu wahren.
„Ich sehe in der Küche nach dem Essen.“ Hastig wandte sie sich um. Sie wusste, dass es nur eine Erinnerung war, aber diese hatte tief in ihr an etwas gerührt, das sie verletzlich machte und dem sie unter keinen Umständen trauen durfte.
In der modernen Küche lenkte sie sich ab, indem sie den Rinderbraten im Herd prüfte. Das geputzte Gemüse wartete bereits in einem Topf darauf, kurz gedünstet zu werden, das Dessert stand fertig im Kühlschrank. Die Flasche Rotwein hatte sie schon entkorkt, damit der Wein atmen konnte. Im Moment gab es nichts für sie zu tun. Eigentlich war sie auch nur in die Küche geflohen, weil das Bild des großen Mannes bei dem Helikopter sie völlig durcheinandergebracht hatte. Es war dumm, es war verrückt, es war …
„Mein … Javier meinte, Sie sollen aufhören, sich in der Küche zu verstecken. Er hat mich geschickt, Sie zu holen.“
Die tiefe Stimme vom Türrahmen her ließ Martha zu Stein erstarren. Ihr wurde plötzlich eiskalt, sie begann unkontrolliert zu zittern. Die wenigen Worte hatten die Zeiger der Uhr um Monate zurückgedreht, hatten sie wieder zu dem Tag der geplatzten Hochzeit und dem kleinen Hotelzimmer zurückgeführt, zu dem Tag, an dem sich ihr Leben auf immer verändert hatte.
Seit jenem Tag hatte sie diese Stimme in ihren Träumen so oft gehört. Dann war sie schweißgebadet in zerwühlten Laken aus dem Schlaf aufgeschreckt, die Wangen feucht, auch wenn sie sich niemals eingestand, geweint zu haben. Die Stimme war ein Echo in ihrem Kopf gewesen, nie hätte sie geglaubt, dass sie sie jemals wieder in der Wirklichkeit hören würde.
Javier hatte gesagt, dass er alles daransetzen würde, Carlos zu finden. Zwar hatte sein Enkel keine Adresse hinterlassen, wo man ihn erreichen konnte, aber wenn es irgendeine Möglichkeit gab, ihn ausfindig zu machen, dann würde er ihn finden, so hatte Javier erklärt.
Martha hatte einige Zeit gebraucht, um sich an den brüsken Ton des einsamen alten Mannes zu gewöhnen. Der Stolz verbot es ihm, zuzugeben, dass er jemanden brauchte. Während seines Krankenhausaufenthaltes hatte sie ihn besucht, hatte ihm die Dinge gebracht, die er benötigte. Und als er dann nach Hause gekommen war, hatte er sie gebeten zu bleiben. Die Erinnerung an ihre gebrechliche Mutter war noch frisch, und so war sie mühelos in die Rolle der Pflegerin geschlüpft, dankbar dafür, dass sie hier bleiben konnte, solange Javier es wünschte.
Wann immer sich ihr der Gedanke aufdrängte, dass sie in dem Haus blieb, in dem Carlos aufgewachsen war, weil sie Carlos auf diese Art – wenn auch indirekt – näher sein konnte, so hatte sie ihn jedes Mal unwirsch von sich gewiesen. Carlos musste wissen, dass sie sein Baby erwartete, aber sie machte sich keine Illusionen. Er würde deswegen nicht mehr mit ihr zu tun haben wollen, vermutlich auch nicht mit dem Kind. Sie brauchte ihn nicht, sie hatte genug eigenes Geld, um für sich und das Kind zu sorgen. Wenn Carlos keine Beziehung zu seinem Kind aufbauen wollte, so war das sein Schaden.
Allerdings war es eine Sache, ihn per Brief oder Telefon zu informieren, eine ganz andere war es, wenn der „Besuch“, den Javier ihr angekündigt hatte, Carlos in Person war.
„Haben Sie gehört, was
Weitere Kostenlose Bücher