Julia Extra Band 356 - Ebook
er als Kind erfahren hatte, hatte ihm gereicht. Nie wieder würde er sich einem anderen Menschen gegenüber so schwach zeigen – nie wieder.
„Ich denke, du bist für mich bestimmt, Kiryl“, flüsterte Alena gerührt.
„ Du bestimmst, was ich für dich bin“, entgegnete Kiryl mit Nachdruck. Er beugte den Kopf und küsste sie auf die Stirn. Dann verließ er den Raum.
Alena war allein in ihrer Suite. Allein und doch nicht allein. Nun, da Kiryl in ihr Leben getreten war, würde sie nie wieder allein sein. Noch immer konnte sie den Duft seiner Haut riechen und den Klang seiner Stimme hören. Das Verlangen nach ihm war fast wie ein körperlicher Schmerz.
In diesem Augenblick piepste ihr Handy. Eine SMS war eingegangen.
Sie fühlte sich sofort ein wenig schuldig, als sie sah, dass die Nachricht von Vasilii stammte. Vasilii, der glaubte, sie sei in seiner Hotelsuite in London. Doch sofort verbot sie sich jede Reue. Es gab keinen Grund für Schuldgefühle, schließlich eröffnete auch ihr Bruder ihr nicht, ob er gerade mit einer Frau zusammen war. Und sie war jetzt erwachsen, traf ihre eigenen Entscheidungen. Außerdem war sie sich sicher, dass ihr Bruder ihre Wahl gutheißen würde, wenn er Kiryl erst einmal kennengelernt hatte. Wahrscheinlich würde er sogar erleichtert sein, dass sie ihr Herz jemandem geschenkt hatte, den er respektieren konnte – jemandem, der ein ebenso erfolgreicher Geschäftsmann war wie er selbst.
Vasilii verachtete Playboys und all die jungen Männer, die nichts Besseres zu tun hatten, als das Geld ihrer Väter durchzubringen. Aber noch mehr hasste er Mitgiftjäger, die es auf reiche junge Frauen abgesehen hatten. Viele von Alenas Freundinnen waren an solche Typen geraten. Es handelte sich meist um irgendwelche drittklassigen Prominente, die hofften, auf diese Weise einen gesellschaftlichen Aufstieg zu bewerkstelligen. Aber solche Allianzen schadeten den Mädchen und ihren Familien. Alena hatte oft mit Vasilii darüber gesprochen, und sie teilte seine eher konservativen Werte. Ihr gemeinsamer Vater hatte Vasilii oft damit aufgezogen, dass diese Werte wohl von der Nomadenfamilie seiner Mutter herrührten, wo der gute Name und die Ehre der Familie oberstes Gebot waren.
Deshalb schrieb sie ihm guten Gewissens zurück, dass er sich ihretwegen keine Sorgen zu machen brauche. Sie sah auf die Uhr. In einer Dreiviertelstunde würde sie mit Kiryl zu Abend essen. Das hieß, sie musste schnell duschen und dann … wirklich schade, dass sie nichts Richtiges zum Anziehen hatte. Morgen würden sie gemeinsam den Nevsky Prospect entlangschlendern, wo es eine Boutique nach der anderen gab. Aber für heute Abend hatte sie nichts anderes als ihren Kaschmirpullover und den schwarzen Taftrock, den sie schnell noch mitgenommen hatte.
Alena sah sich suchend im Zimmer um. Die Doppeltür führte bestimmt ins Badezimmer. Sie öffnete sie und befand sich in einem Ankleidezimmer mit zwei großen Schränken zur Rechten und zur Linken. Auf einem von ihnen klebte ein Zettel mit der Aufschrift: Alena – öffne mich !
Zögernd folgte sie der Anweisung und schlug die Hand vor den Mund. Der rechte Schrank war voll mit Kleidern, wie sie sie für die Wintersaison in ihrer Lieblingsboutique in London gekauft hatte. Natürlich waren es nicht dieselben Kleider, sondern die aktuellen Modelle. Brandaktuell und genau in ihrer Größe, wie sie bei näherem Betrachten feststellte.
Wie war das möglich? Wie konnte Kiryl ihren Geschmack so genau kennen? Zwischen Lachen und Ungläubigkeit hin- und hergerissen, inspizierte sie den Inhalt des Schranks Stück für Stück. Tatsächlich, hier hing das Seidenkleid, von dem sie gewünscht hatte, sie könnte es an diesem besonderen Abend anziehen. Und jetzt sah sie auch die Schubladen im unteren Teil. Sie zog sie auf und stellte begeistert fest, dass nichts fehlte – all ihre Dessous waren vorhanden, außerdem Strümpfe, Accessoires und Toilettenartikel.
Zehn Minuten später war sie geduscht. Sie nahm das Seidenkleid vom Bügel und streifte es über. Sie hatte sich von Anfang an in dieses Modell verliebt, das ihr ein wunderschönes Dekolleté verschaffte. Aber in diesem Augenblick waren es nicht die Satindessous oder die feine Seide des Kleides, die sie erregten. Es war die Vorstellung von Kiryls Reaktion auf ihre Erscheinung, die sie vor Aufregung innerlich beben ließ.
Genau eine Stunde später, als Alena sich gerade zum Abschluss ihrer Toilette mit ihrem Lieblingsparfüm
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