Julia Extra Band 358
„Das kam noch dazu.“
„Es sollte aber kein Problem sein, es sei denn, man fühlt sich schuldig …“
Sie schnitt eine Grimasse und rief sich ins Gedächtnis, dass er unmöglich wissen konnte, warum sie sich in diesem Moment schuldig fühlte. „Das ist schwierig, wenn man sich nicht zugehörig fühlt.“
„War das denn der Fall?“
„Zu der Zeit habe ich nirgendwo hingehört.“
„Und wie ist es heute?“
„Ich gehe davon aus, dass ich meinen Platz gefunden habe. Das solltest du auch mal versuchen.“
„Glaubst du, ich hätte es nicht?“, fragte Daniel, als sie sich zu ihm umdrehte.
Schnell wich sie seinem forschenden Blick aus. „Die vielen Kartons in deinem Apartment, die du noch nicht ausgepackt hast, deuten nicht darauf hin.“
„Ich habe einen befristeten Mietvertrag, falls du es vergessen hast.“
Das Ticken der Küchenuhr erinnerte sie daran, dass sie nur noch wenig Zeit hatte, den Schaden wiedergutzumachen, den sie angerichtet hatte. Mehr denn je bereute sie, den Auftrag angenommen zu haben, den ihre Chefredakteurin ihr an diesem Nachmittag angeboten hatte.
Als Jo sich nun umblickte, dachte sie daran, wie sehr sie ihre Wohnung vermissen würde. „Wünschst du dir denn kein richtiges Zuhause?“
„New York ist mein Zuhause, egal, wo ich wohne.“
In dem Punkt war sie anderer Meinung. Sie hatte ihr ganzes Leben in New York verbracht, aber da sie vier Wochen unter einer Brücke geschlafen hatte, kannte sie den Unterschied zwischen „irgendwo leben“ und einem richtigen Zuhause. Sie sah Daniel wieder in die Augen. „Und was gefällt dir hier am meisten?“
Er überlegte einen Moment. „Wenn man in New York arbeitet, steht man in direktem Kontakt zu den Menschen. Es ist nicht wie in Kalifornien, wo man die Hälfte seines Lebens in einem Auto verbringt, oder bei einem Einsatz im Ausland, wo man gegen einen anonymen Feind kämpft.“
„Wann warst du in Kalifornien?“
„Ich war in San Diego stationiert.“
Das hatte sie gar nicht gewusst. „Und was gefällt dir am Leben hier?“
„Die Antwort ist dieselbe.“
„Sonst nichts?“
„Du könntest versuchen, mir zu erzählen, wonach du suchst.“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
Plötzlich war ihr die Kehle wie zugeschnürt. So, wie sie sich ihm gegenüber eben verhalten hatte, verdiente sie kein Lächeln. „Bist du es nicht leid, immer aus Kartons zu leben?“
„Du vergisst, dass ich sie bis vor Kurzem noch eingelagert hatte. Alles, was ich brauchte, passte in einen Seesack.“
„Alles, was ein Marine brauchte“, verbesserte Jo ihn. „Also, warum schaffst du dir jetzt kein Zuhause? Es hat doch sicher Orte gegeben, an denen du gern geblieben wärst.“
„Stimmt.“
„Und warum …?“ Sie verstummte, weil sie plötzlich begriff. „Du ziehst wegen der Albträume um, nicht? Immer wenn dich jemand hört oder dich gehört zu haben glaubt …“ Instinktiv wusste sie, dass sie recht hatte, aber es ergab keinen Sinn. Solange sie ihn kannte, war Daniel von Ort zu Ort gezogen. „Ist irgendetwas passiert, als du im Ausland warst?“
„Das hast du mich schon mal gefragt.“ Er kniff die Augen zusammen. „Lass uns doch einfach vergessen, dass ich Albträume habe.“
„Ich soll so tun, als wüsste ich nichts davon?“ Ungläubig sah sie ihn an. „Also, wie lange hast du sie schon?“
Seit jenem Abend, als sie ihn zum ersten Mal hatte schreien hören, hatte sie das Gefühl gehabt, als würde er nach ihr rufen. Könnte sie ihm den Schmerz abnehmen und ihm nur eine ruhige Nacht schenken, würde sie es für ihn tun. Doch alles, was darüber hinausging, erfüllte sie mit Angst davor, sich in ihn zu verlieben.
Bemüht, ihre Gefühle zu verbergen, wie sie es gelernt hatte, hob Jo das Kinn. „Wollten wir nicht versuchen, besser miteinander zu kommunizieren?“
„Das setzt voraus, dass wir uns nicht so viel streiten“, meinte Daniel grinsend. „Und wenn du mich drängst, erreichst du genau das Gegenteil.“
„Wenn ich mit dir streiten muss, damit du mit mir redest, dann tue ich es.“
„Wir wissen beide, dass du heute schon die ganze Zeit Streit suchst.“
Frustriert, weil er sich schon wieder zurückzog, hakte sie nach: „Wie lange hast du diese Albträume schon, Daniel?“
Er nahm die Hände aus den Hosentaschen und stieß sich vom Tresen ab, um seine Jacke vom Stuhl zu nehmen. „Ach, jetzt bin ich also wieder Daniel?“
„Hast du eine Ahnung, wie schwer es für mich ist, dich so zu erleben? Ich liege
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