Julia Extra Band 358
Vulkan tanzen, und das Risiko nicht einschätzen konnte. Die Frage war nie gewesen, wann er fallen würde, sondern wohin – auf einer Seite wartete der Himmel auf ihn, auf der anderen die Hölle. Und er war im Lauf der Jahre zu oft durch die Hölle gegangen. So war es nur zu verständlich, dass er auch gern einen Vorgeschmack auf den Himmel gehabt hätte, und sei es nur für kurze Zeit. Wenn er allerdings zu lange daran festhielt, riss er Jo womöglich mit in den Abgrund. Deshalb durfte er nichts von ihr verlangen, was er nicht zurückgeben konnte. Sein Leben zu riskieren war einfacher, als Gefühle zu investieren. Wenn das Risiko am höchsten war, fühlte er sich lebendiger, stärker. So hatte er empfunden, als er Jo geküsst hatte.
Oh ja, er steckte wirklich in Schwierigkeiten.
Nach ihrer Miene zu urteilen, schien sie jetzt zu allem Überfluss auch zu ahnen, dass etwas nicht stimmte.
„Was meinst du, wie lange wir noch hier sind?“, fragte Daniel.
Sie blickte zu ihrem Vater. „Eine Stunde, vielleicht zwei …“ Dann sah sie ihn wieder an. „Wenn du gehen willst …“
„Nein“, entgegnete er. „Du solltest nur etwas essen. Wenn Stu kein Sandwich machen kann, hole ich uns etwas.“
Er stand auf und ging zum Tresen. Zwar konnte er ihr gewisse Dinge nicht geben, aber vielleicht konnte er es ja auf andere Art wiedergutmachen. Er wollte auf sie aufpassen. Und nicht weil er sich von Berufs wegen oder wegen ihrer Verbindung zu seiner Familie dazu verpflichtet fühlte. Es lag auch nicht nur daran, dass sie ihm etwas bedeutete. Wenn er darüber nachdachte, lief es immer nur auf eins hinaus.
Sie war Jo .
So einfach war es – und gleichzeitig so kompliziert.
9. KAPITEL
An den Sprüchen auf den Kühlschrankmagneten ist viel Wahres dran. Zum Beispiel: Wie viele Reisen muss ein Mann machen, bevor er sich eingesteht, dass er verloren ist?
Er machte sie nur ein bisschen wahnsinnig.
„Würdest du bitte damit aufhören?“ Jo gab Daniel einen Klaps auf die Hand.
„Punktet einen Mann nicht bei einer Frau, wenn er nach dem Essen beim Aufräumen hilft?“
„Vielleicht bin ich ja ein Putzteufel.“
Sichtlich amüsiert blickte er sich in ihrem Apartment um. „Das dürfte in Aladins Höhle schwierig sein …“
Sie war gekränkt, denn die bequemen Möbel im Landhausstil und die zahlreichen Dekogegenstände erinnerten sie an das Leben, das er völlig auf den Kopf gestellt hatte. „Leute, die länger als ein paar Monate in einer Wohnung bleiben, machen es sich normalerweise gemütlich.“
Lässig lehnte er sich an den Küchentresen. „Und anscheinend freunden sie sich auch mit allen Nachbarn an. Da du allein lebst, solltest du etwas vorsichtiger sein. Der Typ beim Chinesen wusste anhand deiner Bestellung deinen Namen und deine Adresse.“
„Das lässt sich wohl kaum vermeiden, wenn man Essen bestellt. Siehst du eigentlich überall potenzielle Serienmörder?“ Als Jo merkte, wie schnippisch sie klang, runzelte sie die Stirn. „Ich vertraue immer auf meinen ersten Eindruck. Du solltest es auch mal versuchen.“
„Du weißt, was ich dich jetzt frage, oder?“ Daniel öffnete die Kühlschranktür. „Und behaupte nicht, du wärst nicht neugierig.“
Nachdem sie die leeren Schachteln in den Mülleimer getan hatte, stellte sie die Gläser in die Spüle. „Das hat damit nichts zu tun. Und Erinnerungen wachzurufen wäre jetzt bestimmt nicht klug.“
„Ich glaube nicht, dass deine Laune noch schlechter werden könnte. Wenn du mir den Grund dafür nennen willst, sag mir Bescheid.“ Er schloss die Tür wieder, bevor er die Hände in die Taschen seiner Jeans schob. „Wir haben uns an dem Wochenende des vierten Juli kennengelernt, als Liv dich mit zu uns genommen hat.“
Nein, das stimmte nicht. Wäre sie in besserer Stimmung gewesen, hätte sie ihm sagen können, wann sie sich das erste Mal begegnet waren.
Jo blinzelte, als die Erinnerungen, die sie so erfolgreich verdrängt hatte, wach wurden. Plötzlich wusste sie, wann er ihr zum ersten Mal sein berüchtigtes Lächeln geschenkt hatte. Welche Sachen er getragen, wie umwerfend er ausgesehen und vor allem, wie sie sich gefühlt hatte.
„Du warst damals ruhiger“, stellte Daniel fest.
„Man kommt ja auch kaum zu Wort, wenn deine ganze Familie versammelt ist.“ Als sie das saubere Glas zum Trocknen hinstellte, zitterte ihre Hand, und Jo atmete einige Male tief durch.
„Ein ganzer Raum voller Cops reicht den meisten Leuten schon.“
Sie nickte.
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