Julia Extra Band 359
fragte sie vorsichtig: „Wie alt warst du, als deine Eltern dir zum ersten Mal erklärt haben, dass Alim besser ist als du?“
Wieder dieses Schulterzucken, aber davon ließ Amber sich nicht beirren. Harun antwortete ihr, unbeteiligt, als ginge ihn das alles nichts an. „Ich kann mich nicht erinnern, wann sie es nicht gesagt hätten.“
Er war nicht wütend. Er begehrte nicht dagegen auf, suhlte sich nicht in Selbstmitleid. Nein, er nahm es einfach als gegeben hin.
Sie hatte auf gut Glück ins Wespennest gestochen, und wusste nicht, ob sie sich freuen sollte, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. Seine eigenen Eltern hatten ihm das angetan? Kein Wunder, dass er ihr nicht glaubte. Er hatte ja nie gelernt, an sich selbst zu glauben. In diesem Moment wusste sie nur eines, ganz klar und ohne jeden Zweifel: Sie liebte ihn. Nur aus diesem Grund kämpfte sie wie eine Tigerin darum, dass er sich ihr endlich öffnete.
Ja, sie liebte diesen Mann. Mit all seinen Schwächen – und Vorzügen. Sie liebte ihn bereits, seit er damals in den Kampf gezogen und als Held zurückgekehrt war, still und bescheiden wie immer. Im Grunde hatte es sie nicht gewundert, dass er Alim so bereitwillig die Macht abtreten wollte, ohne etwas für sich zu verlangen. Sie hatte das als Bescheidenheit interpretiert, doch jetzt erkannte sie den wahren Grund: Harun glaubte nicht, dass er die Liebe seines Volkes verdiente – die war für seinen Bruder reserviert. In dessen Schatten war er so lange verkümmert, bis er das Rampenlicht nicht mehr ertragen konnte.
Amber ahnte: Wenn sie ihn zu sehr drängte, ihr alles zu erzählen, würde er ihr nie verzeihen. Sie musste ihm Zeit geben.
„Ich muss gerade daran denken, was mein Vater mir vor der Hochzeit gesagt hat: dass es nicht immer Menschen wie Alim sind, die die Welt bewegen und etwas verändern. Jetzt begreife ich, wie recht er hatte“, bekannte sie und berührte sanft Haruns Gesicht. Seine Haut fühlte sich warm und weich an, so verlockend … In diesem magischen Moment sah Amber nur den Menschen in Harun, mit all seinen Hoffnungen und Träumen, seinen Ängsten und Zweifeln. Und diesen Menschen liebte sie von ganzem Herzen.
Er sah sie an, skeptisch und abweisend. Schüttelte unwillig ihre Hand ab. Amber ließ sich nicht beeindrucken, sie legte die Hand an seine Wange. „ Habibi , ich will dich schon so lange.“
Es dauerte, bis er endlich begriff. Sie sah es an seinem Gesicht, das plötzlich ganz sanft wurde. Harun nahm ihre Hände. „Mein Juwel“, sagte er mit rauer Stimme.
Ihr Herz platzte fast vor Freude. Jetzt nur nicht zögern … Aufseufzend schlang sie ihm die Arme um den Hals. „Ich habe so lange auf dich gewartet, war so lange allein“, hauchte sie dicht an seinem Ohr. „Nenn mich noch einmal so, wie du mich eben genannt hast.“
„Mein Juwel … Du hast darauf gewartet, dass ich den ersten Schritt mache?“ Wieder las sie Zweifel in seinem Blick.
„Ja. Ich liebe dich, Harun. Ich liebe dich schon so lange, ohne mir dessen wirklich bewusst zu sein. Es war reiner Selbstschutz, wenn ich so tat, als könnte ich dich nicht ausstehen.“ Sie umfasste sein Gesicht und lächelte glücklich. „Ich dachte immer, man hätte mich dir aufgezwungen, und du willst mich nicht. Hätte ich nur geahnt, aus welchem Grund du mich all die Jahre zurückgewiesen hast …“
„Dann hättest du was getan?“
„Das“, wisperte sie und drückte die Lippen sanft auf seine.
Sofort erwiderte Harun ihren Kuss, schob die Hand in ihr Haar und streichelte ihren Rücken. Ihr wurde ganz heiß, und sie schmiegte sich verlangend an ihn. Seine zärtlichen Berührungen, seine Küsse … Es fühlte sich so gut an. Jetzt konnte sie nicht mehr aufhören … Sie wollte mehr, wollte endlich ihren Hunger nach diesem Mann stillen.
Plötzlich lag sie auf dem Bett – wie war sie nur dort gelandet? – und Harun zog sorgfältig die Bettvorhänge um sie herum zu. Dann schob er sich leise aufstöhnend neben sie, seine Hand auf ihrer Brust, und sah ihr in die Augen. Seine Augen waren ganz dunkel vor Verlangen, sein Blick wach und lebendig, ohne jene Melancholie, die sie sonst so oft darin las.
Und das war ihr Verdienst … Wieder lächelte sie glücklich. Sie war bereit für ihn, und es war ihr in diesem Moment völlig egal, ob ihre Entführer sie abhörten oder gar beobachteten. Harun gehörte endlich ihr. „Jetzt, Harun, komm zu mir“, forderte sie ihn atemlos auf.
Am nächsten Morgen
Das war es also,
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