Julia Extra Band 361
erschien es Isobel ratsam, sich voll auf die Straße zu konzentrieren und die beunruhigenden Gedanken, die ihr durch den Kopf schossen, möglichst auszublenden.
Was ihr leider nur teilweise gelang.
Warum war Tariq überhaupt noch so spät nachts unterwegs gewesen? Und hatte dann auch noch einen Unfall, wo er doch so ein guter Autofahrer war?
Sie umklammerte das Lenkrad fester, während sie sich ihren mächtigen Chef hilflos in einem Krankenhausbett vorzustellen versuchte. Aber sie schaffte es einfach nicht. Scheich Tariq al Hakam war überlebensgroß. Stark wie ein Löwe, stets voller Leidenschaft und Energie. Er war bisher immer mit allem fertig geworden.
Aber was, wenn …?
Was sollte sie tun, wenn Tariq lebensbedrohlich verletzt war?
Als sie auf den menschenleeren Krankenhausparkplatz einbog, hatte es angefangen zu nieseln. Im Krankenhaus umfing sie eine fast unheimliche Stille, die bewirkte, dass sich ihre düstere Vorahnung noch verstärkte. Im Laufschritt eilte sie die breiten Flure hinunter, bis sie vor der Notaufnahme stand.
Die Schwester hinter dem Tresen schaute von einer Karteikarte auf, in die sie eben einige Eintragungen gemacht hatte. „Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?“
Isobel fuhr sich mit der Hand über die Wange, die nass war vom Regen. „Ich bin wegen … es geht um einen Patienten. Sein Name ist Tariq al Hakam. Wenn ich richtig verstanden habe, hatte er einen Autounfall.“
„Und Sie sind wer?“
„Ich bin seine Assistentin.“
„Da muss ich leider passen. Fremden darf ich keine Auskunft erteilen“, sagte die Schwester mit einem bedauernden Lächeln. „Oder sind Sie mit ihm verwandt?“
Isobel schüttelte den Kopf. „Seine nächsten Verwandten leben im Nahen Osten. Ich arbeite seit fünf Jahren eng mit dem Prinzen zusammen. Bitte, lassen Sie mich zu ihm. Ich bin … er hat …“
Einen törichten Moment lang wollte sie fast sagen: „Er hat doch nur mich.“ Bis ihr klar wurde, was für ein Unsinn das war. Tariq hatte einen ganzen Harem, jede Menge Frauen, die ihm viel näher standen, als sie selbst es jemals tun würde. Ganz davon abgesehen, dass sie das gar nicht wollte.
„Er hat mich vor etwas über einer Stunde angerufen“, fügte sie bittend hinzu. „Er … er wollte, dass ich komme.“
Die Krankenschwester musterte sie einen Moment lang gründlich, dann endlich erbarmte sie sich und nickte.
„Na schön. Er hat eine Gehirnerschütterung“, erklärte sie. „Auf dem CT sind keinerlei Anzeichen für eine Gehirnblutung zu erkennen, aber er muss zur Beobachtung hierbleiben. Es ist zu seiner eigenen Sicherheit.“
Keinerlei Anzeichen für eine Gehirnblutung. Isobel war so erleichtert, dass sie sich für einen Moment gegen den Tresen lehnen musste, weil sie plötzlich ganz weiche Knie bekam. „Danke“, flüsterte sie. „Kann ich zu ihm? Nur ganz kurz.“
Noch ein abschätzender Blick, wieder ein Nicken. „Ja, aber machen Sie es kurz. Und vermeiden Sie jede Aufregung, haben Sie verstanden?“ Dabei drohte ihr die Frau neckisch mit dem Zeigefinger.
Isobel verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. „Oh, in dieser Richtung besteht keine Gefahr“, gab sie trocken zurück. Sie kannte ihren Platz in seinem Leben, und das war ihr nur recht so. Ihre Aufgabe war es, sein zerrupftes Gefieder zu glätten. Für die Art Aufregung, auf die die Krankenschwester anspielte, waren andere zuständig.
Sie folgte dem rhythmischen Quietschen, das die Gummisohlen der Krankenschwester auf dem blank gebohnerten Linoleum verursachten, in ein Krankenzimmer am Ende des Flurs. Bei dem Anblick, der sie dort erwartete, machte ihr Herz einen erschrockenen Satz.
Da lag er, ihr Chef, reglos ausgestreckt unter einem weißen Laken. Das schmale Krankenhausbett schien viel zu klein für seine lange, kräftige Gestalt. Seine olivfarbene Haut stand in einem starken Kontrast zu dem blütenweißen Bettzeug und sein schwarzes Haar war blutverklebt. Ein Schwindelgefühl überkam Isobel und nur mit Mühe konnte sie sich gegen ihren Instinkt wehren, an Tariqs Seite zu stürzen und ihre Hand auf seine Wange zu legen. Aber die Krankenschwester hatte ja jede Aufregung verboten! Also beherrschte sich Isobel und trat leise und besonnen an Tariqs Bett.
Wie gespenstisch bleich sein Gesicht war! In den fünf Jahren, in denen sie nun bereits für Tariq arbeitete, hatte sie ihren Chef schon in den verschiedensten Verfassungen gesehen. Sie kannte ihn als dominanten Geschäftsmann und als übermüdeten
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