Julia Extra Band 362
etwas zu tief ins Glas geblickt.“
„Das ist keine Entschuldigung. Du solltest dir ein Beispiel an Brody nehmen. Dein Bruder ist auf dem Weg nach Afghanistan, um sich um die Verletzten zu kümmern. Ehrenamtlich wohlgemerkt. Statt darüber zu berichten und Brodys karitativen Verein vorzustellen, hat der Reporter sich ausschließlich auf dein ungebührliches Verhalten konzentriert.“ Seine Großmutter musterte ihn scharf. „Es ist dir doch bewusst, dass du dich auf einer Gala der McKenna-Stiftung befunden hast, auf der Spenden für verletzte Soldaten gesammelt wurden? Solche Publicity können wir uns einfach nicht leisten. Schon gar nicht von einem Familienmitglied.“
„Du hast völlig recht, Gran. Das hätte mir nicht passieren dürfen. Manchmal schaltet sich wohl einfach mein Verstand aus.“ Schuldbewusst ließ er den Kopf hängen.
„So geht das nicht weiter, Riley. Ständig ziehst du mit deinen Eskapaden unseren guten Namen in den Schmutz und benimmst dich wie ein testosterongesteuerter Teenager statt wie ein erwachsener Mann, der Verantwortung übernehmen muss.“
Seine älteren Brüder hatten Verantwortung übernommen. Finn war Geschäftsführer und verheiratet, Brody Allgemeinmediziner. Wieder einmal bekam Riley zu spüren, dass er seinen Brüdern nicht ebenbürtig war. Er war nun mal kein Überflieger.
Bisher hatte ihn das herzlich wenig interessiert. Solange er das Partyleben mit schönen Frauen genießen konnte, war er zufrieden.
In letzter Zeit war er allerdings immer öfter ins Grübeln gekommen, ob ihn das wirklich ausfüllte.
Mary seufzte missvergnügt. „Ich werde alt.“
„Davon bist du Jahrzehnte entfernt.“
„Und ich bin es leid, weiter auf Urenkel zu warten.“
„Finn hat dir gerade eine Urenkelin geschenkt. Das zweite Kind ist bereits unterwegs, Gran.“ Sein ältester Bruder ging in seiner neuen Rolle als Ehemann völlig auf. Er und seine Frau hatten ein Kind adoptiert und erwarteten in gut sieben Monaten eigenen Nachwuchs. Manchmal war er direkt etwas neidisch auf Finns Glück mit Ellie.
„Und jetzt bist du dran“, sagte Mary energisch.
„Moment mal! Was ist mit Brody? Er ist älter als ich.“
„Das ist egal. Die Ehe würde dir guttun. Dein Großvater und ich waren über fünfzig Jahre lang glücklich verheiratet.“
Und wenn er vor drei Jahren nicht gestorben wäre, wären sie es heute noch, dachte Riley. Bis zum letzten Tag hatten sie verliebt Händchen gehalten, wenn sie einen Spaziergang durch die Nachbarschaft gemacht hatten. Als Teenager hatte Riley sich manchmal gefragt, ob er wohl auch mal so eine glückliche Beziehung führen würde. Nach den ersten Romanzen hatte er dann ernüchtert feststellen müssen, dass die Liebe, die seine Großeltern füreinander empfanden, ungefähr so selten war wie ein Einhorn im Zoo.
Seine Großmutter trank noch einen Schluck Tee. „Du hast deine ständigen Affären einfach leid. Wenn du dich mal entscheiden könntest, würdest du wahrscheinlich feststellen, dass die Liebe viel angenehmer ist, als du denkst.“
„Ich bin auch so glücklich“, behauptete Riley.
„Mag sein.“ Sie spielte mit dem Teelöffel auf der Untertasse. Dann sah sie auf und betrachtete ihren Enkel nachdenklich. Mit ihren achtundsiebzig Jahren entging ihr noch immer nichts. Noch immer leitete sie die PR-Agentur McKenna Media, die ihr Mann gegründet hatte. Seit Jahren spielte sie mit dem Gedanken, die Leitung in jüngere Hände zu geben. Danach sah es allerdings nicht aus. Zumal sie in all den Jahren nicht einmal einen Tag Urlaub genommen hatte. Riley vermutete, dass sie sich ihrem verstorbenen Mann in der Agentur näher fühlte. Außerdem lenkte die Arbeit sie wohl ab. „Du hast bisher noch nichts Rechtes aus deinem Leben gemacht, Riley.“
„Ich arbeite, Gran.“
„Du nennst das Arbeit, wenn du dich kurz in der Firma blicken lässt, gleich wieder abzwitscherst und dafür ein Gehalt kassierst?“
„Eine Stärke muss ja jeder haben. Ich bin eben besonders gut darin .“
Seine Großmutter fand das gar nicht lustig. Unwillig verzog sie das Gesicht. „Ich habe dich viel zu sehr verwöhnt, weil du der Jüngste bist und deine Eltern so früh verloren hast. Dann wurdest du praktisch auch noch entwurzelt und musstest zu deinen Großeltern ziehen.“
Riley machte eine wegwerfende Geste. „Mir ging es gut.“
Mary sah ihn forschend an. „Wirklich?“
Er wich ihrem Blick aus und betrachtete ein Landschaftsgemälde, das an der gegenüberliegenden
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