Julia Extra Band 362
gingen, meinte Marisa so etwas wie eine dunkle Vorahnung zu spüren.
Erst drei Tage später gelang es Rafe, sein Versprechen einzuhalten.
Marisa war erfreut, wie geschickt Keir sich anstellte. Rafe hatte ihn ermahnt, sich ruhig zu verhalten, weil er sonst die kleine braune Stute verstören könnte.
Ängstlich beobachtete Marisa, wie geduldig und fachkundig Rafe mit Keir und dem Pferd umging.
„Das muss ich ja wohl können“, sagte er, als sie ihn darauf ansprach. „Ich saß als Kind schon auf einem Pferd, bevor ich laufen konnte.“
„Dieses Pferd ist extrem geduldig mit Keir“, sagte sie.
Sie selbst war in den vergangenen Tagen alles andere als ruhig gewesen. Sie redete sich zwar ein, dass es reine Einbildung sei. Doch etwas stand wie eine Mauer zwischen ihnen, obwohl sie sich in der vergangenen Nacht geliebt hatten.
„Deshalb habe ich das Tier für Keir ausgewählt“, riss Rafe sie nun aus ihren Grübeleien. „Es ist sehr ausgeglichen.“
Keir hatte großen Spaß und gehorchte Rafe aufs Wort.
„Er hat ein gutes Gleichgewichtsgefühl und keinerlei Angst“, sagte Rafe nach den ersten zehn Minuten und sah Marisa an. „Reitest du auch?“
„Ich bin in meinem ganzen Leben einem Pferd noch nie so nahe gewesen wie jetzt“, gab sie verhalten zurück.
„Fürchtest du dich vor Pferden?“
„Sie sind viel größer als ich, und ich habe keine Ahnung, was in ihrem Kopf vorgeht.“
„Wenn du magst“, sagte er beiläufig, „kann ich es dir auch beibringen.“
Er hatte es leichthin gesagt. Aber etwas in seinem Ton machte sie argwöhnisch.
Etwas hatte sich verändert. Das Gefühl war nicht greifbar, doch all ihre Sinne waren auf Vorsicht eingestellt. Er schien sich zurückgezogen zu haben, machte Small Talk mit ihr, als wäre sie eine flüchtige Besucherin und nicht die Frau, mit der er wilden und leidenschaftlichen Sex gehabt hatte.
Der Gedanke daran ließ ihre Wangen erröten. Sie hatte erfahren, wie ihr Körper unter seinen erfahrenen Händen zu singen begann und unter seiner Leidenschaft in Flammen aufging.
„Marisa?“
Sie zuckte zusammen. „Ja, ich denke, das wäre eine gute Idee. Danke.“
Er nickte mit unbewegter Miene, die nichts preisgab. „Fein. Wenn Keir sein Abendessen zur gewohnten Zeit haben soll, müssen wir uns jetzt beeilen.“
Als sie Keir zu Bett gebracht hatte, schlenderte sie zur Terrasse, wo sie gewöhnlich zu Abend aßen. Rafe war nicht da, was ihre vage Befürchtung noch mehr verstärkte.
Die Haushälterin erschien. „Da sind Sie ja. Rafe lässt ausrichten, dass es bei ihm heute später wird. Er macht noch einen Ausritt. Soll ich Ihnen etwas zu trinken bringen?“
„Nein, danke.“ Sie machte eine kurze Pause, bevor sie weitersprach. „Wohin ist er geritten?“
„Zum Strand. Das macht er immer, wenn er seine Gedanken ordnen will. Wenn Sie zum Sommerhaus hinübergehen, können Sie ihn sehen.“ Nadine lächelte herzlich. „Ich denke, er vermisst sein Polospiel. Er gab es nach dem Tod seines Vaters auf, weil ihn die Geschäfte zu stark in Anspruch nahmen.“
Das Sommerhaus bot einen freien und herrlichen Blick auf den Ozean. Zikaden ließen ihr hohes Schrillen erklingen. Wie Miniatur-Kettensägen, so kam es Marisa vor, als sie das Fernglas an die Augen setzte und dem Reiter und dem Pferd in der Ferne folgte. Ihr Herz begann zu rasen, als sie bemerkte, dass die Hufe riesige nasse Erdklumpen aufwirbelten.
War es wirklich so gefährlich, wie es den Anschein hatte?
Als sie näherkamen, konnte sie Rafes entschlossene konzentrierte Miene erkennen. Als ob er eine schwierige Entscheidung zu fällen hatte.
Sie wartete, bis Pferd und Reiter den Strand verlassen hatten. Dann schlenderte sie zum Haus zurück, umfangen vom Duft des Sommers. Eine Biene summte um ihren Kopf, bevor sie wie eine goldene Gewehrkugel ins helle Sonnenlicht stieß und sich wieder ihrem Schwarm anschloss.
Sie liebte diesen Garten. Begreife es endlich! Du liebst alles hier in Manuwai – das Haus, den Strand, selbst die Angestellten …
Und sie würde das alles wieder aufgeben müssen, wenn der Mann, dem das Land gehörte, nicht länger mit ihr leben wollte.
Sie wusste nicht, wie lange sie durch die Abenddämmerung spaziert war. Zu viele Fragen – die meisten davon unmöglich zu beantworten – quälten sie.
Bereute Rafe die Verlobung schon? Schmerz durchzuckte sie, sodass sie fast stolperte. Was immer auch geschah, sie würde damit fertig werden. Doch sie wäre nicht mehr dieselbe wie
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