Julia Extra Band 363
ihr selbst, die manchmal fürchtete, niemals aus Lyrebird Lake herauszukommen, war er ein weitgereister und weltgewandter Mann. Vielleicht war es ihre eigene unerfüllte Sehnsucht nach fremden Ländern und Erlebnissen, die sie zu ihm hinzog.
Die Tatsache, dass er morgen abreisen würde, ließ Emma mutig werden. Was hatte sie schon zu verlieren? Sie wollte unbedingt mehr über ihn erfahren.
„Erzählen Sie mir von Ihrer Kindheit in Italien, von Ihren Eltern.“ Sie hielt inne, als ihr bewusst wurde, wie fordernd sich das anhörte. „Normalerweise bin ich nicht so neugierig. Aber Sie haben etwas Rätselhaftes an sich.“ Was um Himmels willen redete sie da? „Verzeihung. Sie müssen mir darauf nicht antworten.“
Ironisch lächelnd hob er eine seiner rabenschwarzen Augenbrauen. „Ist unser Gespräch dann beendet?“
„Natürlich nicht“, antwortete sie zögernd, nachdem sie beinahe vielleicht gesagt hätte. Aber sie war noch nie der Typ für Spielchen gewesen. Warum also nicht ehrlich sein? Dieser Mann war einfach unwiderstehlich.
Mit gespielter Gleichgültigkeit hob er seine breiten Schultern. „Meine Eltern waren beide Ärzte. Sie kamen bei einem Bootsunfall ums Leben, als ich ein Teenager war. Mein Bruder und ich waren ebenfalls an Bord. Ich war durch einen Schlag auf den Kopf ohnmächtig geworden, aber Leon konnte uns beide retten.“
„Das muss ein traumatisches Erlebnis für Sie und Ihren Bruder gewesen sein.“
Gianni nickte. „Wäre er nicht damit beschäftigt gewesen, meinen Kopf über Wasser zu halten, dann hätten wir vielleicht auch unsere Eltern retten können.“ Seine Augen spiegelten tiefste Verzweiflung. Emma wünschte, sie könnte ihre Frage zurücknehmen.
Doch er fuhr bereits in seiner Erzählung fort: „Leon ist zwei Jahre älter als ich und Geschäftsführer der Bonmarito-Privatkliniken in Rom. In unserer Familie hat es Tradition, dass die Söhne Medizin studieren – und die Frauen heiraten, die man für sie aussucht.“
„Sind Leon und Sie dieser Tradition gefolgt?“ Er nickte, worauf Emma innerlich den Kopf schüttelte. Wie mochte seine Frau sich in diesem Wissen in ihrer Hochzeitsnacht gefühlt haben? Oder war sie froh gewesen, wenigstens einen so jungen und gut aussehenden Ehemann zu bekommen?
„ Sì. Scheidungen sind übrigens nicht vorgesehen, wenn es anfänglich nicht gut läuft.“ Er beobachtete amüsiert, wie sie schockiert das Gesicht verzog. „Trotzdem sind die Statistiken zu glücklichen Ehen bei uns ähnlich wie hier.“
„War Ihre eigene Ehe denn glücklich?“
Ein wehmütiger Ausdruck trat in seine Augen. „An dem Tag, an dem sie starb, hatte ich mich bereits in sie verliebt.“
Oje. Das war also kein gutes Thema. Was war bloß in sie gefahren, dass sie ihm derart persönliche Fragen stellte? Noch dazu auf einer Beerdigung.
Die letzten Sonnenstrahlen tauchten die Bäume um den See in ein goldenes Licht, und die Versammlung begann sich aufzulösen. Es war Zeit, sich von ihrem geheimnisvollen italienischen Bekannten zu verabschieden.
„Vielen Dank für Ihre nette Gesellschaft, Gianni. Hoffentlich bin ich Ihnen mit meinen albernen Fragen nicht zu nahe getreten. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise.“
Sie sah zu Misty und Montana hinüber, die angefangen hatten, die benutzten Teller und Gläser einzusammeln. „Ich sollte besser beim Aufräumen helfen. Louisa übernachtet heute bei Angus und Mia.“
Gianni nickte wortlos. Mit geneigtem Kopf blickte er ihr hinterher, als sie zu ihren Freundinnen ging. Es war ein Wunder, dass er sie mit seinen Geschichten nicht schon früher in die Flucht geschlagen hatte. Er sprach sonst nie über seine Vergangenheit, doch heute waren ihm die Worte wie von selbst über die Lippen gekommen. In diesem Moment winkte ihn Angus zu sich, damit er ihm beim Tragen einer Bank half. Gianni war dankbar, eine Aufgabe zu haben.
Als sie die letzten Stühle ins Haus trugen, schnappte er ein kurzes Gespräch zwischen Montana und Emma auf. „Emma, würde es dir etwas ausmachen, wenn Grace heute bei uns schläft? Dawn vermisst Ned so schrecklich. Es wäre gut, wenn sie eine Freundin bei sich hätte.“ Angus hatte Gianni mal erzählt, dass Montana in einem der Gästezimmer bei Ned und Louisa gewohnt hatte, als Dawn noch ein Baby war.
„In Ordnung“, antwortete Emma. „Dann hole ich sie morgen Nachmittag ab, bevor wir zu meiner Mutter fahren.“
„Wie geht es ihr denn?“
„Letzte Woche wirkte sie etwas munterer, aber ihre
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