Julia Extra Band 363
gedeckten Tische unter den Bäumen.
„Ja, ich komme mit Ihnen.“ Emma warf noch einen Blick auf Louisa, die mit dem Baby schmuste. „Louisa ist ja für den Moment versorgt.“
„Das mit dem Baby war eine gute Idee“, sagte er anerkennend, während sie zu den Getränken hinübergingen. „Kinder sind so zarte, unschuldige Wesen. Sie können uns die schlimmsten Sorgen für einen Moment vergessen lassen.“
„Genau so ist es.“ Interessiert blickte Emma zu ihm auf. „Erleben Sie das oft in Ihrem Beruf?“
Gianni wusste selbst nicht, warum er auf einmal dieses Thema angeschnitten hatte. Er zuckte nur mit den Schultern und goss ihr ein Glas Bowle ein. Während sie trank, beeilte er sich weiterzureden, um nicht wie hypnotisiert auf ihren Mund zu starren. „Ich habe viel Leid und Elend gesehen. Aber selbst in Familien, die schreckliche Verluste erlitten hatten, konnte die Geburt eines Kindes neue Hoffnung und Lebensmut wecken.“
„Angus hat mir erzählt, dass Sie kurz nach ihm Ihren Dienst beim medizinischen Rettungsdienst begonnen haben.“
„Ohne Angus würde ich heute nicht hier stehen. Hat er Ihnen auch erzählt, wie er mich aus den Trümmern eines Erdbebens gerettet hat? Zwei Tage war ich lebendig begraben, und man hatte die Suche nach mir schon aufgegeben.“ Und hat er Ihnen außerdem erzählt, dass ich damals auf dem besten Weg war, mich endgültig zugrunde zu richten?
Emma betrachtete ihn aufmerksam und lächelte. „Ja, das hat er, aber nur die Kurzversion. Oder glauben Sie, dass er mir gegenüber gesprächiger ist als sonst?“
Gianni lachte trocken auf. „Nein, ganz bestimmt nicht. Wir reden beide nicht gerne über unsere Erlebnisse bei diesen Einsätzen. Angus sogar noch weniger als ich.“
„Zu viele schlechte Erinnerungen können einen Menschen auf Dauer erdrücken“, sagte sie ernst und rührte damit abermals an etwas, das er vergessen wollte. „Zwei Tagen waren Sie verschüttet? Da hatten Sie viel Zeit zum Nachdenken.“
„Nun ja.“ Jedenfalls viel Zeit, um die Vergangenheit zu bereuen. Er hatte geglaubt, seine schmerzhaften Erinnerungen überwunden zu haben. In Wahrheit waren sie vielleicht nur von neuen, ebenso traumatischen Erlebnissen verdrängt worden.
Emma legte den Kopf schief und musterte ihn unverwandt. Er empfand ihr Interesse nicht als Neugier, sondern seltsamerweise als tröstlich. „Wissen Sie, ich glaube, dass alles im Leben zu etwas gut ist. Selbst unsere schlimmsten Erfahrungen können uns voranbringen. Was hat zum Beispiel dieses Erdbeben in Ihnen ausgelöst, Gianni?“
Er genoss es, wie weich sie seinen Namen aussprach, die Vokale im Mund rollte, als wollte sie ihrem fremden Klang nachspüren. Natürlich musste ein „Gianni Bonmarito“ in einem Land voller Jacks, Johns und Joes auffallen.
Normalerweise hätte er eine derart forsche Frage ignoriert, doch zu seinem eigenen Erstaunen dachte er darüber nach, wie er sie möglichst ehrlich beantworten könnte. „Das ist alles lange her. Aber dieses Erlebnis hat mein Leben in der Tat verändert. Es hat mich dazu gebracht, etwas Sinnvolles mit meiner Zeit anzufangen. Angus war mein großes Vorbild. Er hat mir damals mein Leben zurückgegeben, und ich habe beschlossen, es nicht länger zu vergeuden.“
„Haben Sie denn vorher ein so nutzloses Leben geführt?“
Gianni dachte an die schnellen Autos und die leichtfertigen, gedankenlosen Menschen, mit denen er sich nach Marias Tod umgeben hatte. Aber das war ein anderes dunkles Kapitel seiner Vergangenheit und eines, an dem er beim besten Willen nichts Gutes finden konnte. „Ich fürchte schon“, antwortete er mit leiser Stimme, als die Bilder über ihn hereinbrachen. Erinnerungen, die er stets verdrängt hatte. „Als ich dort unter den Trümmern lag, unfähig mich zu bewegen, und fast keine Luft bekam, als ich miterleben musste, wie die Schreie und Klagen der anderen Verschütteten um mich herum nach und nach verstummten … Damals habe ich mir geschworen, nie mehr zu vergessen, wie kostbar das Leben ist.“
Er schüttelte sich leicht bei dem Gedanken und zwang sich zu einem Lächeln. „Aber genug von mir. Sie sind Hebamme, sagten Sie? Wollten Sie das schon immer werden? So wie Ihre kleine Tochter?“
„Einige meiner besten Freundinnen sind Hebammen.“ Emma sah ihn herausfordernd an. Bislang hatte er keine Hebamme gut genug kennengelernt, um sich ein Urteil über diesen Berufsstand zu erlauben. Diese jedenfalls war ihm äußerst sympathisch.
„Montana,
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