Julia Extra Band 363
essen, Emma?“
Ihr Herz schlug einen Purzelbaum. Jetzt gleich? „Fahren Sie nicht zurück zu Angus?“
Gianni schüttelte den Kopf. „Wir haben gestern Abend zusammen gegessen, und ich treffe ihn morgen zum Lunch, bevor ich fahre.“
Emma schwirrte der Kopf. Sie musste einen Moment über seine Einladung nachdenken. „Seit ihrer Versöhnung damals haben Angus und Ned sich so wunderbar verstanden“, sagte sie, um Zeit zu gewinnen. „Ich hoffe, das wird Angus helfen, über den Verlust seines Vaters hinwegzukommen.“
„Ja.“ Gianni neigte den Kopf und studierte eingehend ihr Profil. „Glücklicherweise war ihnen noch etwas Zeit miteinander vergönnt.“
„Angus war auch derjenige, der meinen Bruder und mich wieder zusammengebracht hat. Aber Sie sind mir noch eine Antwort schuldig.“
Der Mann ließ sich nicht so leicht ablenken. Emma fasste einen Entschluss. Ein wenig Abwechslung würde ihr guttun. „Warum nicht. Schließlich muss ich irgendetwas essen. Allerdings würde ich mich vorher gerne umziehen“, fügte sie nach einem Blick auf ihren zerknitterten Rock hinzu.
„Wie viel Zeit brauchen Sie?“
Sie überlegte kurz. „Eine halbe Stunde.“
„Gut“, sagte er, sichtlich zufrieden mit ihrer Antwort.
„Hier sind wir schon. Das Haus mit den Rosenstöcken am Gartentor.“
Emma hatte ihre Hand bereits auf dem Türgriff, aber Gianni hielt sie mit seiner eigenen fest. „Warten Sie, ich öffne Ihnen die Tür“, sagte er leise, und sie erstarrte. Seine Haut war weich und warm, und die Berührung ließ ihr eine Gänsehaut über den Arm laufen. Sie vermeinte die Hitze seiner Finger noch zu spüren, nachdem er seine Hand längst zurückgezogen hatte.
Wo sollte dieser Abend hinführen, wenn eine einzige Berührung von ihm genügte, um sie dermaßen in Aufruhr zu versetzen? Unsinn. Schließlich ging es nur um ein Abendessen. Grace war bei ihrer Freundin, und Emma konnte nach diesem traurigen Tag ein wenig Ablenkung gebrauchen. Abgesehen davon hatte sie noch nie die Gelegenheit gehabt, in dem Restaurant am See zu essen.
Gianni hielt ihr die Beifahrertür auf, und sie stieg aus. Seine Fürsorglichkeit war übertrieben, aber durchaus charmant. Erst als er sich vergewissert hatte, dass sie sicher im Haus angekommen war, startete er den Wagen.
Mit klopfendem Herzen lehnte Emma sich von innen gegen die Haustür. Ihr Puls raste. Was war bloß auf dieser lächerlich kurzen Autofahrt mit ihr geschehen?
Ihr fielen auf Anhieb hundert gute Gründe ein, warum sie sich nicht mit diesem Mann einlassen sollte, aber auch genau fünfzehn Gründe, warum sie dieses Gefühl einfach genießen sollte.
Hundert Komplikationen, über die sie jetzt nicht nachdenken wollte.
Fünfzehn Jahre, die ihr statistisch gesehen noch blieben, bevor sie die ersten Anzeichen jener Krankheit befallen würden, die ihre Mutter von einer hübschen, lebenslustigen Frau in einen Schatten ihrer selbst verwandelt hatten.
Fünfzig Prozent betrug die Wahrscheinlichkeit, dass sie das mutierte Gen geerbt hatte. Emma hatte in den letzten Jahren oft darüber nachgedacht, sich einer Genanalyse zu unterziehen, um Gewissheit über ihr zukünftiges Schicksal zu erlangen. Stattdessen klammerte sie sich an die Hoffnung, dass sie die Veranlagung vielleicht nicht geerbt hatte. Sie hätte nicht gewusst, wie sie ohne diese Hoffnung weiterleben sollte.
Fest schlang sie die Arme um sich und dachte nicht mehr an Gianni, dachte an gar nichts mehr, als die albtraumhaften Bilder ihrer möglichen Zukunft sie einmal mehr überwältigten.
Am schlimmsten war ihre Angst um Grace. Falls sie selbst das Gen in sich trug, hatte sie es mit einer Wahrscheinlichkeit von abermals fünfzig Prozent an ihre Tochter weitergegeben. Wie sollte sie mit dem Wissen leben, dass Grace eines Tages an Chorea Huntington erkranken würde?
Statt sich dem Test zu unterziehen, hatte Emma darum nicht mehr über ihr vierzigstes Lebensjahr hinausgedacht – dem Alter, in dem die Krankheit bei ihrer Mutter ausgebrochen war. Sie hatte so viel Geld zurückgelegt, wie sie nur konnte, damit Grace versorgt wäre, sollte sie selbst …
Aber hier und heute war sie eine gesunde und, Giannis Blicken nach zu urteilen, durchaus attraktive Frau. Irgendwann im Laufe des Abends hatte sie beschlossen, die Aufmerksamkeit zu genießen, die er ihr schenkte, und sei es nur für die Dauer eines Abendessens.
Seit ihrer Trennung von Tommy war sie keine Beziehung zu einem anderen Mann mehr eingegangen. Tommy und sie
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