Julia Extra Band 365
abzulenken.“
„Das verstehe ich gut. Arbeit kann tatsächlich wie eine Therapie wirken.“
„Oder als Flucht vor den Problemen. Wie auch immer, ich habe genug zu tun, um ständig beschäftigt zu sein“, formulierte sie scherzhaft und lächelte. „Und die Entschuldigung nehme ich dankend an.“
Brody erwiderte das Lächeln. „Mehr möchten Sie nicht sagen? Und vielleicht ein bisschen auf mir herumhacken? Mir als Revanche unter die Nase reiben, was ich alles verkehrt mache?“
„Das würde ich liebend gern tun, aber ich brauche meine Puste fürs Laufen.“
Das Eingeständnis brachte ihn zum Lachen. Einträchtig liefen sie nun schweigend weiter, in einem Tempo und Rhythmus, der ihnen beiden behagte. An einer leeren Parkbank hielten sie schließlich an und begannen mit Dehnungsübungen.
„Ich habe Sie noch nie hier am Reservoir laufen sehen“, meinte Kate leicht außer Atem. Sie legte ein Bein auf die Bank und beugte sich darüber, die Hände am Knöchel.
Brody machte dasselbe und versuchte, nicht ständig zu Kate hinzusehen … leider vergeblich.
„Unter der Woche habe ich meistens nicht genug Zeit“, erklärte er. „Nur am Wochenende.“
„Und da habe ich sehr viel zu tun, weshalb ich meistens an Werktagen hier bin“, informierte sie ihn.
Mühsam wandte er den Blick von ihren langen schlanken Beinen ab und versuchte, sich mehr auf seine eigenen Dehnungsübungen zu konzentrieren. Trotzdem stahl sich sein Blick immer wieder zu Kate.
Sie war eine wunderschöne Frau.
Und für ihn absolut tabu!
Sie richtete sich auf und wollte offensichtlich etwas sagen, aber dann verspannte sie sich, und ihre Augen blickten plötzlich trübe.
Brody sah sich um und entdeckte in Sichtweite einen dunkelhaarigen jungen Mann in einem Army-T-Shirt, der an ihnen vorbeilief. Er sah Andrew so ähnlich, dass Brodys Herz einen Schlag lang aussetzte.
Kate war blass geworden und atmete tief durch.
„Alles in Ordnung mit Ihnen?“, erkundigte er sich besorgt und legte ihr die Hand auf die Schulter.
„Ja, danke. Ich dachte nur einen Moment lang … weil der junge Mann auf den ersten Blick fast so aussah wie mein Bruder …“ Sie schüttelte den Kopf und versuchte zu lächeln, was ihr kläglich misslang. „Andrew ist tot. Das vergesse ich manchmal. Und wenn es mir dann wieder einfällt …“
„Schmerzt es höllisch“, ergänzte er den Satz.
„Ja, das tut es“, bestätigte sie und seufzte tief.
„Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir“, bat Brody und führte sie zu einer Bank.
„Danke“, sagte sie leise.
„Kate, es tut mir so leid. Ich weiß, dass diese Worte nur unzureichend sind, aber es tut mir wirklich leid.“
Schon tausend Mal hatte er seinen Patienten Rat und Trost bieten können. Aber jetzt, wo es darauf ankam, fehlten ihm die Worte.
„Haben Sie schon einmal jemand verloren, der Ihnen nahestand?“, fragte Kate.
„Ja. Meine Eltern.“ Er pflückte ein Blatt von einem tief hängenden Ast neben sich und riss es in kleine Stücke.
„Gleichzeitig?“, hakte sie entsetzt nach.
„Ja. Als ich acht war. Ganz plötzlich, durch einen Autounfall.“ Der Schmerz über diesen Verlust traf ihn manchmal jetzt noch mit voller Wucht.
„Als Kind? Das ist ja furchtbar“, sagte sie mitleidig.
„Wenigstens hatte ich meine Brüder und meine Großeltern. Trotzdem war es hart.“ Er seufzte tief. „Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als mein Großvater es mir erzählte. Da hatte ich das Gefühl, meine Welt würde einstürzen, Stein für Stein. Unvermittelt war nichts mehr so wie vorher. Meine Großeltern haben mich und meine Brüder aufgenommen. Sie waren wirklich lieb zu uns, aber sie konnten die Eltern nicht völlig ersetzen.“
„Das kenne ich.“ Kate beobachtete eine Schar Wildgänse, die am anderen Ufer zum Wasser watschelten. „Ich habe einen großen Teil meiner Kindheit mit meinen Großeltern verbracht. Weil meine Eltern sich ständig gestritten haben, sind Andrew und ich so oft wie möglich in die Bäckerei gegangen. Es war Flucht, glaube ich. Dann haben meine Eltern sich scheiden lassen. Dad zog nach Florida, Mom nach Maine, Andrew und ich sind hier bei den Großeltern geblieben.“
Brody sah ihr an, wie sehr sie nach all den Jahren noch immer darunter litt, dass ihre Familie zerbrochen war.
„Ich bin froh, dass Sie wenigsten Andrew hatten. So wie ich Finn und Riley“, sagte er sanft.
„Ja. Aber auch ihn habe ich jetzt verloren! Und es ist meine Schuld!“ Tränen traten ihr in die
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