Julia Extra Band 365
Augen. „Ich habe ihn ermutigt, sich freiwillig zu melden. Er wollte den Menschen in Afghanistan helfen, und er war schon immer abenteuerlustig gewesen. Der Krieg war vorbei, deshalb schien es nicht mehr so gefährlich zu sein. Wenn ich ihm doch nur gesagt hätte, er solle Bergführer werden oder Fallschirmspringer! Dann wäre er bestimmt noch am Leben.“
Brody legte ihr die Hand auf die Schulter. „Kate, Sie haben keine Schuld an seinem Tod. Sie nicht! Andrew war erwachsen. Er wäre nicht zum Militär gegangen, wenn er es nicht gewollt hätte!“
Sie schüttelte den Kopf. „Jeden Tag bedaure ich, ihm zugeredet zu haben. Jeden Tag wünsche ich, ich könnte meine Worte zurücknehmen. Oft komme ich mir vor, als würde ich in Zement stehen und meine Füße nicht mehr heben können.“
In diesem Augenblick wurde Brody klar, warum Andrew so unerbittlich darauf bestanden hatte, dass er sich um seine Schwester kümmerte. Kate gab sich die Schuld an Andrews Tod, und sie konnte sich einfach nicht verzeihen. Er musste ihr einen Weg aufzeigen, um diesen selbstzerstörerischen Gefühlen zu entkommen.
„Manchmal … geschehen solche Dinge“, begann er ruhig. „Als ich direkt nach dem Studium auf der Notfallstation arbeitete, ist mir ein Patient unter den Händen gestorben.“
Noch nie zuvor hatte Brody jemandem die Geschichte in ganzer Länge erzählt. Der Hals schnürte sich ihm zu, aber er zwang sich, weiterzusprechen.
„Ich kannte ihn vom Krankenhaus“, erzählte er weiter. „Er war stark sehbehindert. Trotzdem ging er gerne in der Stadt spazieren, war immer mit seinem Gehstock unterwegs. Aber in so einer Großstadt passieren immer wieder …“
„… Unfälle“, ergänzte Kate.
Brody nickte. „An einer Kreuzung war eine Baustelle. Er stolperte und wurde von einem Auto angefahren. Ich habe alles versucht, um ihn am Leben zu halten!“
Plötzlich sah er nicht mehr den schwerverletzten Fußgänger vor sich, sondern Andrew. Noch einmal sah er seinen vertrauensvollen Blick und hörte ihn sagen: „Es liegt in Ihrer Hand, Doc.“
Andrew hatte sein Leben für Brody geopfert. Und Brody hatte ihn im Stich gelassen. In seinem Kopf erklang wieder das Geräusch von Hubschraubern, hörte er wieder sich selbst nach Verbandszeug rufen. Aber es gab einfach zu viele Verwundete, zu wenig Nachschub – und keine Wunder.
Brody schloss seine Hände zu Fäusten, aber noch immer konnte er Andrews Brustkorb unter seinen Händen fühlen.
„Ein anderer Arzt musste mich mit Gewalt davon abbringen, mit der Herzmassage weiterzumachen“, fügte er hinzu.
„Oh, Brody!“ Kate legte die Hand auf seine. „Das tut mir ja so leid. Wie sind Sie … über dieses traurige Ereignis hinweggekommen?“
„Nur allmählich. Lange habe ich mir Vorwürfe gemacht. Mich für seinen Tod verantwortlich gefühlt. Ich habe sogar überlegt, ob ich mit Medizin aufhören sollte. So wie Sie, Kate, habe ich mich schrecklich schuldig gefühlt.“
Sie nickte stumm.
„Er machte immer Witze, dieser Patient von mir – es war richtig ansteckend. Er und ich alberten manchmal herum, dass er schon Stammgast bei uns auf der Station wäre, oder er verabschiedete sich mit den Worten ‚Bis zum nächsten Zusammenflicken in einer Woche dann, Doc‘. Es ging mir wie Ihnen, Kate. Was, wenn ich nicht mit ihm herumgealbert hätte? Wenn ich ihm eindringlich geraten hätte, besser aufzupassen bei seinen Spaziergängen?“
Brody warf den Rest des zerpflückten Blatts auf den Boden.
„Jedenfalls steckte ich wochenlang in meinem Kummer fest, so wie Sie jetzt, Kate. Dann sagte ich mir, dass ich damit niemand nutze, weder mir noch dem Andenken meines verstorbenen Patienten.“
Damals war er, wie Finn ihm auch jetzt wieder geraten hatte, aktiv geworden. Auch Kate musste jetzt etwas unternehmen, um die lähmende Trauer abzuschütteln. Hoffentlich sah sie es ebenso – und ließ sich von ihm dabei helfen.
„Es endete damit, dass ich zum Verkehrsamt ging. Dort habe ich beantragt, dass man an der betreffenden Kreuzung Fußgängerampeln mit akustischem Signal aufstellt. Für meinen Patienten kam die Maßnahme zwar zu spät, aber vielleicht hat sie anderen Menschen das Leben gerettet. Das zu tun hat mir sehr geholfen. Ich konnte wieder nach vorne sehen.“
„Das muss ich auch tun“, gestand sie seufzend ein. „Eines Tages.“
Plötzlich hatte er die Idee, wie er Kate helfen konnte.
„Hätten Sie Lust, heute Nachmittag mit mir einen Ausflug nach Weymouth zu
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