Julia Extra Band 369
weiter an Sie zu vergeuden.“
Cayo starrte seine Assistentin an, als ob er sie noch nie zuvor gesehen hätte.
Da war etwas an ihr, das ihm vorher nie aufgefallen war, etwas an der Art, wie sie ihn wütend anfunkelte. Ihre sonst sanftmütigen grauen Augen sprühten nur so vor zornigem Elan und ihr hübsches Gesicht war vor Ärger gerötet. Alles an ihr war so frisch und lebendig, dass er kaum den Blick von ihr lösen konnte.
Ungebetene Gedanken drängten sich ihm unvermittelt auf: ihre Hände an seinen Wangen, ihre Lippen auf … Stopp! Es gab keinen Grund, sich erneut in diesen Wahnsinn zu begeben. Er hatte zu hart daran gearbeitet, diese Gefühle weit von sich zu schieben. Es war nur ein einziger Abend in fünf Jahren gewesen. Ein Zwischenfall, der sich nicht wiederholen durfte. Warum dachte er überhaupt noch daran?
„Lieber würde ich sterben…“, sagte sie noch einmal, wie um sicherzugehen, dass er sie auch wirklich gehört hatte.
„Das kann gerne arrangiert werden“, antworte er trocken, während er in ihrem Gesicht nach dem entscheidenden Hinweis für ihre Wut suchte. „Falls Sie es nicht vergessen haben, Miss Bennett, ich bin ein einflussreicher Mann.“
„Und falls das wieder eine Drohung sein sollte, Mr Vila …“, erwiderte sie mindestens ebenso lakonisch, „… dann hat sie ihre Wirkung leider verfehlt. Sie sind sicher vieles, aber ganz bestimmt kein Krimineller. Zumindest nicht einer von dieser Sorte.“
Zum ersten Mal, seit er sich erinnern konnte, wusste Cayo nicht mehr ein noch aus. Ein Gefühl der Hilflosigkeit überkam ihn, ein Gefühl, das er mit seiner Mutter verband, die ihn als Baby allein bei seinem Großvater zurückgelassen hatte. Sie war in ein Kloster gegangen, um der Schande zu entgehen, die ein uneheliches Kind mit sich gebracht hätte. Es sollte ihn eigentlich amüsieren, dass es ausgerechnet seiner Assistentin gelungen war, ihn so derart aus dem inneren Gleichgewicht zu bringen. Ausgerechnet Drusilla! Nicht etwa ein Geschäft, bei dem es um Millionen ging. Oder ein Skandal, breitgetreten in der Presse.
Und das Bemerkenswerteste daran war, dass es ihr schon einmal gelungen war.
Es war schon fast komisch. Aber auch nur fast. Bestimmt konnte er irgendwann darüber lachen, aber vorerst brauchte er sie noch. Sie sollte wieder ihre Rolle einnehmen und so sein, wie er sie kannte: fügsam und fleißig, eine fast unsichtbare Gehilfin. Dabei ignorierte Cayo die leise Stimme in seinem Kopf, die ihm sagte, dass sie nie wieder so sein würde. Seit dem Ereignis vor drei Jahren in Cádiz war das Ende für ihn bereits absehbar gewesen. Alles danach, wusste Cayo, war nur noch ein Spiel auf Zeit gewesen. Und nun war diese geliehene Zeit endgültig abgelaufen. Was er heute zu spüren bekam, war nur eine verspätete Reaktion, eine Art radioaktiver Niederschlag.
„Ich werde jetzt gehen, Mr Vila“, sagte sie und sah ihn streng an. „Und Sie werden damit irgendwie klarkommen müssen. Und wenn Sie doch noch das Gefühl überkommt, Klage gegen mich einzureichen, dann nur zu. Ich bin jedoch weg. Mein Flug nach Bora Bora ist bereits gebucht und meine Koffer sind gepackt.“
Und plötzlich fing es an, in ihm zu arbeiten. Es war ihre Sache, dass sie vorhatte, aus London zu verschwinden, um beispielsweise für eine Woche Urlaub auf Ibiza zu machen. Aber warum ausgerechnet Bora Bora? Eine Insel im Südpazifik, die eine Weltreise entfernt von hier lag. Ausgeschlossen!
Er konnte sie unmöglich einfach so gehen lassen. Doch warum ihm das so widerstrebte, wollte er auf keinen Fall weiter ergründen.
Es war nichts Persönliches, natürlich nicht. Sie war einfach wichtig für die Firma. Und sie wusste so viel über ihn. Eigentlich alles, von seiner Anzuggröße bis hin zu seinem Lieblingsfrühstück. Die letzten Jahre hatte sie sich rund um den Globus um seine gesamte Organisation gekümmert. Er mochte sich gar nicht ausmalen, wie lange es dauern würde, eine neue Assistentin in den Job einzuarbeiten. Und daher würde er alles tun, um Drusilla in der Firma zu halten. Alles!
„Es tut mir leid, ich bitte Sie, mein Benehmen zu entschuldigen“, sagte er plötzlich in einem völlig veränderten Ton. Er steckte seine Hände in die Hosentaschen und nahm eine entspannte Haltung ein. „Sie haben mich wohl auf dem falschen Fuß erwischt.“
Ihre grauen Augen verengten sich misstrauisch, und er wünschte plötzlich, er könnte ihre Gedanken lesen.
„Natürlich werde ich Sie nicht verklagen“, sagte er
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