Julia Extra Band 369
sah sie ihr restliches Leben vor ihrem inneren Auge vorbeiziehen. Dass er darauf bestand, sie noch zwei weitere Wochen an sich zu binden, war grausam. Wenn sie seinen zwei Wochen zustimmte, dann konnte sie sich im Prinzip auch gleich hinlegen und sterben. Und zwar auf der Stelle. Denn er würde sie genauso sehr für sich vereinnahmen, wie er es auch die letzten fünf Jahre getan hatte, und es würde niemals enden. Niemals.
Dru wusste sehr genau, dass sie die beste Assistentin war, die er je gehabt hatte. Das konnte sie in aller Bescheidenheit von sich behaupten. Denn sie hatte einfach die beste sein müssen. Sie hatte das Geld gebraucht. Wie sonst hätte sie die horrenden Arztrechnungen von Dominic bezahlen können? Und noch immer war sie fest überzeugt, das Richtige getan zu haben. Egal wie wenig sie von ihrem Bruder dafür zurückbekommen hatte, egal wie leer und ausgebrannt sie sich nun fühlte. Dominic hatte nicht allein irgendwo auf der Straße sterben müssen. Und das war alles, was für Dru zählte.
Aber Dominic war nur der anfängliche Grund dafür gewesen, dass sie sich in diesem Job so unersetzlich gemacht hatte. Der zweite – und viel erbärmlichere – Grund waren ihre Gefühle für Cayo gewesen: Es hatte sie mit Stolz erfüllt, ihm eine so große Hilfe zu sein. Dabei war Cayo Vila wie ein schwarzes Loch, das alles und jeden um sich herum verschlang. Was war sie nur für eine Masochistin gewesen! Doch das war nun vorbei. Sie musste jetzt das einzig Richtige tun und die Chance ergreifen, ihr eigenes Leben wieder aufzunehmen.
Denn was würde geschehen, würde sie bleiben? Cayo würde weiter Dinge kaufen und verkaufen, Millionen machen und Existenzen zerstören. Und sie würde ihm weiter jeden Wunsch von den Lippen ablesen und sich dabei Stück für Stück selbst verlieren. Und all das nur, weil er an einem Abend in einer fernen Stadt Hoffnungen in ihr geschürt hatte. Hoffnungen, die sich nie erfüllt hatten.
Das Schlimme war, dass sie ihn so sehr gewollt hatte. Und wäre nichts dazwischengekommen, dann hätte sie auch weiterhin alles für ihn getan, nur um in seiner Nähe sein zu können. Während dieser einen Nacht in Cádiz hatte sie ihn von einer anderen Seite erlebt. Aber wie lange wollte sie sich daran noch festhalten? Seit drei Jahren nun hoffte sie Tag für Tag auf ein Zeichen von ihm.
„Nein“, sagte sie mit fester Stimme.
Dies war zweifelsohne ein Wort, das er selten zu hören bekam.
Seine dunklen Brauen senkten sich, und in seinem Blick spiegelte sich Überraschung. Sein schön geschwungener Mund, der eine innere Sanftheit vortäuschte, öffnete sich unheilvoll.
„Nein? Was soll das bedeuten?“
Sein spanischer Akzent war plötzlich überdeutlich. Und dass das nichts Gutes bedeutete, wusste Dru nur zu genau.
Das mulmige Gefühl in ihrem Bauch verstärkte sich. Doch obwohl sie am liebsten weggerannt wäre, blieb sie tapfer stehen.
„Es überrascht mich nicht, dass Ihnen dieses Wort unbekannt ist. Aber ich erkläre es Ihnen gerne“, antwortete sie mit einem Selbstbewusstsein, das weder angebracht noch echt war. „Es steht für Meinungsverschiedenheit und Verweigerung. Ja, ich weiß, dass Sie damit Ihre Schwierigkeiten haben, aber das ist nicht länger mein Problem.“
„Es wird zu Ihrem Problem“, sagte er in einem Ton, den sie noch nie zuvor bei ihm gehört hatte. Sein Blick wurde noch durchdringender und Dru hatte das Gefühl, als ob er sie zum ersten Mal wirklich ansah. Und plötzlich überkam sie ein nie da gewesener Übermut, ja Leichtsinn. „Ich werde Sie …“, setzte er an.
„Bringen Sie mich doch vor Gericht“, unterbrach sie ihn und machte eine wegwerfende Geste mit der Hand, die ihre Unbekümmertheit unterstreichen sollte. Sie konnte sehen, wie rasend sie ihn machte. „Aber was würden Sie damit gewinnen?“
Zum ersten Mal, seit sie Cayo Vila kannte, hatte sie ihn sprachlos gemacht. Doch trotz der atemlosen Stille knisterte die Luft vor Anspannung. Er starrte sie nur an, wie vom Donner gerührt.
Sehr gut!
„Wollen Sie mir vielleicht meine Wohnung nehmen?“, fuhr sie fort. „Nur zu. Ich habe zwar nur ein kleines möbliertes Zimmer zur Miete, aber ich schreibe Ihnen auch gerne einen Check über mein komplettes Girokonto aus. Ist es das, was Sie wollen?“ Sie hörte ihr lautes Lachen von den Wänden widerhallen. „Ich habe Ihnen bereits fünf Jahre gegeben, Mr Vila. Sie bekommen keine weiteren zwei Wochen von mir. Lieber würde ich sterben, als meine Zeit
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