Julia Extra Band 369
gestellt hätte …
Die Gegensprechanlage ertönte hinter ihm. Doch er drehte sich nicht um. Er wusste nicht, ob er Wut oder Verzweiflung fühlte. Aber was es auch war, es gefiel ihm beides nicht.
Er musste sich sehr zusammenreißen, denn am liebsten hätte er sofort einen Ermittler beauftragt und Erkundigungen über Dru eingeholt, darüber, wo sie war und was sie tat. Aber er hielt sich mit diesem drängenden Bedürfnis nun schon seit Wochen zurück.
Dru hatte ihn darum gebeten, sie gehen zu lassen. Und er war ihrem Wunsch nachgekommen. Und das, obwohl es ihn fast umbrachte und er keine Nacht mehr ruhig schlafen konnte. Er hatte sie verloren. Das war mit Abstand das Schlimmste, das ihm je passiert war.
Cayo konnte sich nicht verzeihen. Und ebenso wenig ihr, dass sie ihm das antat. Er war nicht mehr der Mann, der er einmal war. Er fühlte sich angreifbar und schwach.
Dru hatte keine Zeit, um sich mit ihrem Kummer lange im Bett zu verkriechen. Kaum war sie wieder zurück in London, hatte sie sich einen Flug gebucht, der sie wieder zurück nach Bora Bora bringen würde. Dann hatte sie die Urne mit Dominics Asche vom Regal genommen und mit in ihren Koffer gepackt.
Die Reise war anstrengend, und als sie endlich in ihrem Hotel auf Bora Bora angekommen war, konnte sie nicht umhin, den Unterschied zu Cayos Villa festzustellen. Doch sie sagte sich, dass ihr das kleine Zimmer und der noch kleinere Garten egal waren. Sie war aus einem ganz bestimmten Grund hier und nicht um Urlaub zu machen. Und außerdem, seit wann war sie bitte schön so verwöhnt? Sie ärgerte sich über sich selbst – und auch über Cayo, dass er sie mit seinem ganzen Luxus offensichtlich schon so verdorben hatte. Das hier war immerhin ein Garten auf Bora Bora!
Es brauchte fast eine Woche, bis Dru das Gefühl hatte, auf der Insel angekommen zu sein. Aber dann war sie bereit. Eines Abends bei Sonnenuntergang lieh sie sich ein kleines Boot und ruderte hinaus aufs Meer. Sie schaukelte auf den Wellen, sah in den Himmel, der in einem satten Orangerot leuchtete, und dachte an ihren Bruder. Dann öffnete sie behutsam die Urne und verstreute Dominics Asche über dem friedlichen Meer. Es war ein feierlicher Moment.
„Ich wünschte, ich hätte dich retten können“, flüsterte sie, und die Tränen stiegen ihr in die Augen.
Sie dachte an sein ansteckendes Lachen, das sie so geliebt hatte. Sie dachte an seine grauen Augen, in denen sie sich so oft widergespiegelt hatte. Sie dachte an sein dunkles Haar und an seine schönen Hände.
„Und ich wünschte, ich wüsste, was aus unserem alten Babyfoto geworden ist“, sagte sie leise, und bei der Erinnerung daran umspielte ein kleines Lächeln ihre Lippen. „Wir wussten nie, wer von uns wer war.“
Sie dachte an ihre Mutter zurück, die so große Angst vor dem Alleinsein gehabt hatte, dass ihr jeder Mann recht gewesen war, egal, wie gewalttätig er auch sein mochte. Und sie dachte an die Zeit zurück, als sie zusammen mit Dominic gegen den Rest der Welt gekämpft hatte. Doch das war nun unwiderruflich vorbei. Nun würde sie für immer ohne ihn auskommen müssen. Dru spürte eine schmerzhafte Leere in sich.
„Du hast einen Teil von mir mitgenommen, Dominic“, sagte sie leise mit Blick zum Horizont. „Ich werde dich niemals vergessen. Versprochen.“
Als die Sonne vollständig untergegangen war, ruderte Dru wieder an Land. Zurück in ihrem Hotelzimmer legte sie sich ins Bett, zog sich die Decke über den Kopf und begann hemmungslos zu schluchzen.
Sie blieb tagelang im Bett und ließ all den Tränen freien Lauf, die sich seit Monaten in ihr angestaut hatten. Sie weinte alles aus sich heraus: die Trauer, die Verzweiflung und ihre hilflose Wut.
Denn sosehr sie ihren Zwillingsbruder auch geliebt hatte, so sehr hatte sie ihn auch manchmal für seine Entschuldigungen, Ausflüchte und Lügen gehasst – für all die Pläne, die er immer wieder geschmiedet hatte und von denen er keinen je in die Tat umgesetzt hatte. Und sie hatte sich selbst gehasst, dafür, dass sie ihm immer wieder geglaubt hatte. Bis zuletzt. All diese Gedanken wirbelten wie ein Sturm durch ihren Kopf. Ein Sturm, der sich nur allmählich wieder legte.
Doch eines Tages stand Dru auf und öffnete das Fenster. Eine frische Brise wehte ihr vom Meer her entgegen, und sie atmete tief ein. Dann machte sie sich frisch und verließ ihr kleines Hotelzimmer. Sie trank Tee am wunderschönen Strand des Hotels und fühlte sich wie neugeboren. Zwar war sie
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