Julia Extra Band 369
Mitleid mit ihr gehabt. Die Frau war offensichtlich unglücklich und zutiefst verletzt gewesen. Irgendwann musste Rosalia ihren Mann wirklich geliebt haben.
Rafe sah sich abfällig in dem kleinen Wohnzimmer um. „Ich weiß zu schätzen, was Sie für Max getan haben, Miss Clark, aber er wird sich umgewöhnen. Er wird ein völlig neues Leben haben, eines, in dem es ihm an nichts mangeln wird.“ Für einen Moment wurden seine Züge weicher. „Manchmal ist es nötig, wieder bei null anzufangen.“
Das klang so endgültig. Aber sie würde Max nicht aufgeben, konnte es nicht. Schon einmal hatte sie so viel verloren, ein weiteres Mal würde sie es nicht durchstehen. Sie hatte sich über Rafe Sandoval im Internet kündig gemacht, und was sie herausgefunden hatte, war nicht sonderlich ermutigend. Man nannte ihn El Tiburón, den Hai. Rafe Sandoval wartete, bis eine Firma am Abgrund stand, um sie dann aufzukaufen und gnadenlos auszuschlachten. Offensichtlich ging er die Angelegenheit mit seinem Sohn mit der gleichen Logik an. Und in dieser „Firma“ war sie als Nanny ein Teil, auf den verzichtet werden konnte. Wie konnte sie Rafe Sandoval vom Gegenteil überzeugen?
„Freya …“ Eine Kinderstimme drang aus dem oberen Stockwerk zu ihnen.
Beide, Freya und Rafe, erstarrten.
Max rief noch einmal, diesmal schon fordernder. „Freya!“
Rafe erstarrte, Freya schluckte. Dann setzten sie sich beide gleichzeitig in Bewegung. Am liebsten hätte Rafe zwei Stufen auf einmal genommen und wäre die Treppe hinaufgerannt, doch er war vernünftig genug, um zu wissen, dass es wohl kaum die beste Einführung war, wenn er in das Zimmer seines soeben erwachten Sohnes stürmte. Also ließ er Freya den Vortritt in der engen Diele und ließ sie auch zuerst in das kleine Zimmer eintreten.
Er wollte nichts anderes als seinen Sohn sehen, dennoch wurde sein Blick für einen Moment von der Frau angezogen, die sich über das Bett beugte. Trotz ihrer schlichten Kleidung – ein billiger schwarzer Rock und eine weiße Bluse – lag etwas anmutig Mütterliches in ihren Bewegungen, wie sie sich mit einem Lächeln auf die Bettkante neben den Jungen setzte. Sie sah aus wie einem faszinierenden Gemälde entsprungen, engelsgleich und gleichzeitig begehrenswert.
Sie strich dem Jungen sacht das Haar aus der Stirn, und Rafe sah seinen Sohn zum ersten Mal.
Das Kind, das er sich immer gewünscht hatte.
Max.
Der Kleine rieb sich mit den Fäustchen die Augen. „Ich hab was Lustiges geträumt …“ Max sah an Freya vorbei zu Rafe, und sein Lächeln erlosch. Er drängte sich an Freyas Seite, seine Augen wurden groß. Aus Furcht?
Rafe stand einfach nur da und überlegte, was er sagen sollte. Ihm fiel nichts ein, sein Kopf war absolut leer.
„Max, das ist ein Freund.“ Freya drehte sich leicht, damit Rafe einen besseren Blick auf seinen Sohn hatte, doch Max barg das Gesicht in ihrem Schoß, und Freya strich ihm mit schlanken Fingern über den Kopf.
Ein Freund? Endlich nahm Rafes benommener Verstand den Sinn ihrer Worte wahr – ebenso wie ihren warnenden Blick. Er war kein Freund, und er würde die wertvollste Beziehung der Welt sicher nicht mit einer Lüge beginnen. Doch noch während er den Mund öffnete, um die Behauptung zu berichtigen, wurde ihm klar, wie schwierig es sein würde, seinem Sohn die Wahrheit zu erklären. Freya Clark hatte ihn in eine unmögliche Position gebracht. Hatte ihn ausgetrickst. Er durfte ihr nicht trauen.
Er wollte Max auf den Arm nehmen, ihm sagen, dass sie jetzt losfahren würden, doch damit würde er den Jungen nur völlig verängstigen. Also klaubte er den letzten Rest Geduld zusammen und hörte auf Miss Clarks Warnung.
„Hallo, Max“, sagte er, und der Kleine barg das Gesicht an Freyas Schulter. „Ja, ich bin ein Freund. Ich freue mich wirklich sehr, dich kennenzulernen.“
Die Ergriffenheit in Rafes Stimme überraschte und rührte Freya. Bei dem Bild, das Rosalia und die Medien von ihm gezeichnet hatten, hätte sie nicht damit gerechnet, dass er etwas für seinen Sohn empfinden würde. El Tiburón war eiskalt, zynisch und unfähig zu lieben.
Darauf hatte sie gezählt – dass Rafe Sandoval zu beschäftigt war, um sich um seinen Sohn zu kümmern. Hatte gehofft, dass er ihr das überlassen würde.
Doch nichts an dieser Situation schien zu sein, wie sie gedacht hatte. Vielleicht war Rafe auch nicht der, für den sie ihn hielt …
Sie stand auf. „Warum gehen wir nicht nach unten und sehen nach, was wir zu
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