Julia Extra Band 371
Änderungen, über die er nachdachte, nicht einmal in Betracht ziehen. Doch sein Großvater hatte ihm die alten Wüstengebräuche beigebracht. Rakhal liebte die Wüste, genau wie er die Sterne liebte, und in diesem Moment wusste er, was er zu tun hatte.
Er ließ seinen Falken in die Lüfte steigen. Einmal, zweimal, dreimal. Damit würde er den weisen alten Mann der Wüste rufen.
Nur selten fragte Rakhal den Alten um Rat, doch innerhalb einer Stunde saß er bereits mit dem Mann zusammen, von dem es hieß, dass er hundertzwanzig gelbe Vollmonde gesehen hatte. Und er wunderte sich, dass er einen so alten Menschen um Rat nach den neuen Wegen fragen sollte.
„Ich muss an mein Land denken“, sagte Rakhal. „Mein Kopf muss frei von ihr sein.“
„Ich werde dich durch deine Meditation führen“, erwiderte der Alte.
Rakhal ließ seinen Geist frei werden, doch noch immer sah er ihr Bild vor sich.
„Lass deinen Geist bis jenseits der Sterne aufsteigen.“
Rakhal tat es, und noch immer war Natasha da.
Und der Alte führte ihn weiter hinaus, bis hinter Orion, bis hinter die Planeten, doch selbst am Rande des Universums wartete sie auf ihn. Ihr Bild verblasste nicht.
„Es endet nicht“, zischte Rakhal frustriert.
„Weil es nicht enden kann.“ Der Alte erhob sich. „Vertrau auf die Wüste, vertrau den Traditionen und den alten Weisen.“
„Sie will die alten Weisen nicht.“
„Vertraue du dennoch heute Abend auf sie.“
Rakhal kehrte zu seinem Zelt zurück, lehnte die Erfrischungen ab, die ihm gebracht wurden, lehnte den Arak ab, den Abdul für ihn einschenkte, lehnte all die traditionellen Riten ab, die ein Prinz durchlief, bevor er seine Braut wählte.
„Ich wünsche zu baden.“
Er rief die Dienerinnen, lachte und plauderte mit ihnen, ließ sich waschen und rasieren und wies die Musiker an, aufzuspielen, denn heute Abend würde er beschäftigt sein. Er schickte Abdul weg, doch der Berater blieb, obwohl er vom Prinzen entlassen worden war.
„Trinken Sie.“ Wieder hielt Abdul ihm das Glas mit Arak hin. „Genießen Sie die letzten Stunden der Freiheit.“
Und in diesem Moment wusste Rakhal mit absoluter Gewissheit, dass sie in der Nähe war.
„Er hat gebadet und sich rasieren lassen!“ Die Haremsvorsteherin klatschte in die Hände, damit ihre Mädchen zu ihr sahen. „Und er hat die Musiker bestellt …“
Sie verstummte, als Abdul auftauchte und ihr etwas zuflüsterte. Nachdenklich kniff sie die Augen zusammen.
Alle warteten, dass die Klingel ertönen würde, doch nichts geschah. Natasha begann zu hoffen, dass Rakhal sich vielleicht doch ändern könnte, wenn auch nicht für sie. Aber dann traf die Enttäuschung sie wie ein Schlag, als es schließlich klingelte. Hektische Betriebsamkeit überkam die Frauen, alle richteten sich noch einmal das Haar, trugen ein letztes Mal Öl auf und schnatterten aufgeregt, wen die Vorsteherin wohl für den Prinzen auswählen würde. Natasha hoffte, dass die Wahl auf sie fallen würde.
„Nadia.“
Die Vorsteherin steckte dem Mädchen einen Gesichtsschleier an und sprühte sie mit dem schweren Parfüm ein. Es stieg Natasha in die Nase, und sie hatte das Gefühl, als müsse sie sich übergeben.
„Es ist lange her. Sein Hunger wird groß sein.“
Natasha schloss die Augen, um die Tränen zurückzuhalten, während die Vorsteherin Nadia Instruktionen mitgab. Das Klingeln der Glocke hatte das Ende eingeläutet, ihr Prinz kehrte wieder zu seinen alten Gewohnheiten zurück, zu denen, die er am besten kannte.
Auch der letzte Hoffnungsfunke erlosch, als Nadia eine Viertelstunde später zurück in den Harem kam.
„Lasst sie“, scheuchte die Vorsteherin die Mädchen auseinander, die sich – alle, außer Natasha – aufgeregt um Nadia geschart hatten und wissen wollten, wie es dem Prinzen ging. „Sie wird baden und dann ruhen.“ Sie runzelte jedoch die Stirn, als Nadia sich nur auf ihre Kissen legte und stumm die Augen schloss. Auch die anderen Frauen runzelten die Stirn, denn wenn eine von ihnen vom Prinzen zurückkam, herrschte immer neugierige Aufregung.
Die ganze Nacht beschämte er Natasha.
Die Klingel ertönte immer wieder, und Natasha hielt die Augen geschlossen, während ein Mädchen nach dem anderen ging und wieder zurückkam. Rakhal verspottete alles, was zwischen ihnen gewesen war, alles, worüber nachzudenken sie ihn gebeten hatte.
Irgendwann schließlich schwieg die Klingel, Ruhe kehrte in den Harem ein. Die anderen schliefen, doch Natasha
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