Julia Extra Band 371
den Fahrer, als sie unter den ausladenden Baumkronen weiterfuhren, die sich über der Straße wie ein grünes Dach schlossen.
„Die Limonen-Allee steht derzeit in voller Blüte.“ Er machte eine fächernde Handbewegung. „Vor allem Bienen werden davon magisch angezogen, und man kann ihr Summen bis hier unten hören. Conte Dario hat mal gesagt, dass hier vermutlich Millionen Bienen gleichzeitig durch die Luft schwirren.“
Josie gefiel die Vorstellung der vielen emsigen Bienchen. Dario war der Bruder ihrer Freundin Antonia. Zwar hatte sie ihn noch nie persönlich getroffen, aber Antonia hatte ihr schon einiges von ihm erzählt: nämlich, dass er gern und viel feierte und am liebsten andere die Arbeit verrichten ließ. Kein Wunder, dass er so viel über Bienen weiß, dachte Josie, er verhält sich selbst wie eine faule Drohne.
„Und wenn die Sonne hoch über dem alten Wachturm steht, Dr. Street, dann klingt das Summen der unzähligen Insekten fast wie der Motor eines Rolls-Royce.“
Josie seufzte ergriffen. „Hach, das hört sich herrlich an.“
„Sie haben das Castello übrigens heute ganz für sich allein“, fuhr der Fahrer fort. „Es ist gestern mal wieder spät geworden, und die meisten Gäste des Hauses schlafen noch. Aber keine Sorge, Dr. Street, die Haushälterin wird sich um ein Mittagessen für Sie kümmern. Nur wie es aussieht, werden Sie wohl oder übel allein essen müssen.“
Josie empfand das als kein bisschen übel, im Gegenteil. Dankbar für diese glückliche Fügung schloss sie für einen Moment erleichtert die Augen. Ihr Aufenthalt im Castello begann äußerst vielversprechend. Sie hatte bereits in Antonias Wohnung in Rom Urlaub gemacht und war auch schon einige Male in der Familienvilla in Rimini zu Gast gewesen. Dort waren die vielen Freunde und Nachbarn stets ein- und ausgegangen, denn Antonia war ein sehr geselliger Typ – ganz im Gegensatz zu Josie. Ihr war viel Gesellschaft und Smalltalk ein Graus, und so hatte sie sich die meiste Zeit fehl am Platz gefühlt. Viel lieber als mit anderen über den letzten Skiurlaub zu plaudern, hatte sie mit Antonias kleinem Sohn Fabio gespielt, während seine Mutter einen Einkaufsbummel gemacht hatte. Dass Antonias großer Bruder wegen seines wilden Partylebens eher nachtaktiv war, kam ihr nun wunderbar gelegen. So konnte sie in Ruhe arbeiten und die kostbaren Tage nutzen.
Doch bei dem Gedanken daran, wie Conte Dario seine Nächte verlebte, verspürte sie einen Anflug von Neid. Josie blickte zum Castello Sirena, das in der gleißenden Sonne vor ihr lag. Obwohl sie ihre Arbeit über alles liebte, fühlte sie sich manchmal wie in einem Hamsterrad gefangen. Denn Josie hatte nicht nur ehrgeizige Zukunftspläne, auch die Rechnungen mussten irgendwie bezahlt werden. Conte Dario hingegen schien nur auf der faulen Haut zu liegen und bekam überdies noch alles auf dem Silbertablett gereicht. Das Leben war ungerecht!
Als Antonia damals im Studentenwohnheim ihre Zimmernachbarin geworden war, war sich Josie zuerst nicht sicher gewesen, ob sie Freundinnen werden könnten. Sie hatte gefunden, dass sie aus zu unterschiedlichen Familien stammten. Doch gerade aus dieser Gegensätzlichkeit war ihre besondere Freundschaft erwachsen, die sie schon bald unzertrennlich gemacht hatte. Sie hatten zusammen gelacht und geweint. Und wenn eine von ihnen mal Hilfe brauchte, war die andere da.
Auch in einer Partnerschaft waren Josie Treue und Loyalität überaus wichtig. Sie hatte einst gedacht, diese Eigenschaften in ihrem Exverlobten gefunden zu haben. Doch sie hatte sich genauso getäuscht wie Antonia in ihrem Partner Rick. Als Antonia damals von ihm schwanger geworden war, hatte er sie nur kurze Zeit später verlassen. Es war eine schwere Zeit gefolgt. Josie hatte ihrer Freundin geholfen, wieder zurück ins Leben zu finden, und sie, so gut es gegangen war, getröstet. Obwohl sie insgeheim der Überzeugung gewesen war, dass Antonia ohne Kerl besser dran sei.
Wegen eigener leidvoller Erfahrungen hatte Josie keine allzu hohe Meinung von Männern. Und als Antonia wegen des Babys ihr Studium abgebrochen hatte und zurück nach Italien gegangen war, hatte es Josie wie ein Schlag getroffen. Nichts war mehr so wie vorher gewesen, und sie hatte ihre Freundin schmerzlich vermisst. Das war auch der Grund gewesen, warum sich Josie auf dieses Projekt gestürzt hatte. Dadurch hatte sie die Möglichkeit, Antonia und den kleinen Fabio wiederzusehen.
Manchmal beneidete Josie ihre
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