Julia Extra Band 371
eine tiefe Sehnsucht, das hatte er gleich gespürt. Doch warum versteckte sie diese leidenschaftliche Seite? Vor was wollte sie sich schützen?
Auch sie trug eine Maske, hinter die sie niemanden blicken ließ. Doch der Kuss hatte alles verändert. Es war, als sei ein Damm der Gefühle in ihr gebrochen. Gleichzeitig hatte Dario instinktiv gespürt, dass er nicht weitergehen durfte. Das hätte sie sich ebenso wenig wie ihm verziehen.
Und es gab noch einen weiteren und viel schwerwiegenderen Grund, warum er sich zurückgehalten hatte. Es war seine tiefe Angst vor einem weiteren Verlust gewesen, die ihn seit Ariettas Tod quälte. Nie wieder wollte er sich der Gefahr aussetzen, etwas so Schmerzhaftes noch einmal durchleiden zu müssen.
Den Rest des Tages konnte Josie an nichts anderes denken als an Dario. Noch immer hatte sie das Gefühl, dass ihre Lippen von seinen Küssen kribbelten. Während sie draußen weiterarbeitete, galten ihre Gedanken nur ihm: Was er wohl gerade machte und wo er wohl gerade war? Ob es ihm wohl genauso ging wie ihr?
Einige Stunden später erhielt sie Antwort auf ihre Fragen. Sie war am späten Abend in ihre Suite zurückgekehrt, als sie vor dem Castello einen Motor aufheulen hörte. Josie trat ans Fenster und sah Darios schnittigen Sportwagen in die Limonen-Allee einbiegen und davonfahren.
Offensichtlich ging er zum Feiern aus, und das konnte nur eines bedeuten: Er verschwendete schon längst keinen Gedanken mehr an sie!
Die nächsten Tage bestanden aus einer furchtbaren Mischung aus Routine und Verdrängung. Ihr Verstand riet ihr, Dario so schnell wie möglich zu vergessen, doch ihr Körper schien anderer Ansicht zu sein. Jedes Mal, wenn sie an Dario dachte, schnellte ihr Puls in die Höhe. Daher tat sie das Einzige, das ihr in dieser Situation einfiel: Sie stürzte sich in Arbeit. Je voller mein Terminkalender, desto besser, dachte sie. Am Abend fiel sie in ihr weiches Bett und war zufrieden mit dem, was sie erreicht hatte. Schon vor langer Zeit hatte sich Josie diese Strategie angeeignet, um den Widrigkeiten des Lebens zu trotzen. Mit dieser Taktik gelang es ihr, sich und ihre Gefühle für Dario irgendwie zu betäuben. Zumindest für eine Weile.
Seit ihrer zufälligen Begegnung im Wald waren sie sich nicht mehr über den Weg gelaufen. Josie hoffte, dass Dario daraus einzig und allein schloss, dass sie viel arbeitete und nicht, dass sie sich vor ihm versteckte. Während ihrer Ausgrabungen versuchte sie, möglichst nicht an ihn zu denken, doch ab und zu ertappte sie sich dabei, dass sie nach ihm Ausschau hielt. Dabei fühlte sie sich wie eine Gazelle in der Savanne Afrikas; stets fluchtbereit und auf der Hut vor dem Löwen.
Doch mit der Zeit sank ihre innere Alarmbereitschaft, und Josie fand wieder in ihren gewohnten Trott zurück. Dann, eines Abends, als sie gerade damit beschäftigt war, ein Fundstück mit einer Bürste zu säubern, kam Dario, die untergehende Sonne im Rücken, aus der Ferne auf sie zugeritten. Augenblicklich wirbelten ihre eben noch so geordneten Gedanken wild durcheinander. Mit gemischten Gefühlen stand sie auf und klopfte sich den Staub vom Overall. Dann wischte sie sich mit dem Ärmel über ihre Stirn und erschrak. Bestimmt hatte sie Erde am Ärmel und sich jetzt das ganze Gesicht verschmiert! Hastig griff sie nach dem Handtuch, das neben der Schüssel lag, in der sie ihre Fundstücke wusch, und rieb sich damit den vermeintlichen Schmutz ab. Jetzt blieb nur zu hoffen, dass sie damit nicht alles schlimmer gemacht hatte, denn sie hatte keinen Spiegel. Gleich wird er bei mir sein! durchfuhr es Josie. Sie versuchte, einen möglichst beschäftigten Eindruck zu machen.
Als er sie erreicht hatte, huschte ein Lächeln über sein Gesicht, und sie überlegte, ob er ihre vorgetäuschte Betriebsamkeit durchschaut hatte.
„Hallo Dario“, begrüßte sie ihn mit ruhiger Stimme.
„Buona sera, Josie“, erwiderte er und stieg vom Pferd.
Ein wenig besorgt blickte sie prüfend zum Sattel, aber sie konnte keinen Picknickkorb entdecken.
„Was machst du hier?“, fragte Josie, peinlich berührt, dass er offensichtlich bemerkt hatte, wonach sie Ausschau gehalten hatte.
„Ich wohne hier, falls du dich erinnerst.“
„Zumindest dann, wenn du nicht nachts unterwegs bist.“ Der Satz war ihr einfach so herausgerutscht.
Dario zog kurz die Brauen hoch. „Ach, das ist dir also aufgefallen?“ Er schlenderte an Josie vorbei, um einen Blick auf ihre Fundstücke zu werfen.
„Der
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