Julia Extra Band 371
Zeit. Es war ein Unfall …“
Er brach ab, und Josie sah, wie er mit sich rang.
„Ich dachte, ich sei darüber hinweg, aber anscheinend bin ich das wohl doch nicht.“
Josie starrte ihn an und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr seine Worte sie aufwühlten. Mit Verlusten kannte sie sich aus. Doch Dario schien es wesentlich härter als sie selbst getroffen zu haben.
„Ich … ich verstehe.“ Josie machte eine kleine Pause, bevor sie weitersprach. „Keiner von uns trägt die Schuld an dem Vorkommnis. Es hat uns einfach überwältigt. Das ist alles.“
Er nickte. „Man muss Mut haben, um nach dem, was passiert ist, wieder herzukommen.“
Das stimmte, und Josie wunderte sich darüber, dass er das erkannt hatte. „Probleme lassen sich nicht lösen, indem man wegläuft. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Daher versuche ich, keinen Fehler zweimal zu machen.“
„Das glaube ich gern“, antwortete Dario trocken.
Darios Pferd hatte sich ein wenig von ihnen entfernt und graste nun auf der anderen Seite der Lichtung.
Ich muss verrückt sein, dachte Josie, erst werfe ich mich ihm an den Hals und jetzt spiele ich die Unnahbare.
Dabei hatte sein Kuss ihr zum ersten Mal nach Jahren wieder das Gefühl gegeben, eine begehrenswerte Frau zu sein. Sie hatte schon ganz vergessen, wie gut sich so etwas anfühlen konnte. Jetzt musste sie sich eingestehen, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte, als dieses Erlebnis zu wiederholen. Und zwar so bald wie möglich.
Wenn ich ihm jetzt sage, was ich wirklich denke, dann kann ich mein Projekt begraben, dachte Josie und wurde unwillkürlich rot.
„Dann gehe ich jetzt mal und lasse dich in Ruhe weiterarbeiten – zumindest vorerst. Arrivederci!“
Als Dario sich umdrehte und ging, verspürte Josie einen fast übermächtigen Drang, ihn aufzuhalten. Stattdessen beobachtete sie, wie er sich kraftvoll in den Sattel schwang. Er wendete sein Pferd und ritt langsam an ihr vorbei. Dabei schaute er sie lange an.
„Sollte dein Terminplan es zulassen, mal wieder etwas Spontanes zu tun, lass es mich wissen“, sagte er, schnalzte mit der Zunge und gab seinem Pferd ein Zeichen mit den Schenkeln. In leichtem Galopp ritt er über den Hügel davon.
Josie blickte ihm nach. Es war unheimlich, wie sehr er sie zu durchschauen schien. Eigentlich hätte sie darüber verärgert sein müssen, doch stattdessen fürchtete sie, all die wunderbaren Gefühle, die er in ihr ausgelöst hatte, könnten wieder verschwinden. Doch das taten sie nicht. Und sie würden es niemals tun – nicht nach diesen Küssen, ahnte Josie.
5. KAPITEL
Ohne sich noch einmal umzusehen, ritt Dario auf direktem Weg zurück zu den Ställen. Dort sprang er von seinem Pferd und ließ den Hengst alleine seinen Weg in die nächste Box finden. Dann ging Dario geradewegs in sein Apartment, das im Erdgeschoss des Castellos lag, warf die Tür hinter sich zu und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Er versuchte nachzudenken. Seit dem Tod von Arietta hatte er viele Frauen gehabt, aber mit keiner hatte er es lange ausgehalten. Sobald Gefühle ins Spiel gekommen waren, hatte er die Beziehungen meist wieder beendet. Andere Männer beneideten ihn um seine charismatische Ausstrahlung und seinen ungebundenen Lebensstil. Dabei war das alles nur Fassade.
Bis jetzt war es Dario immer egal gewesen, was andere Leute von ihm dachten. Er hatte ein Lächeln aufgesetzt, und alle hatten geglaubt, er sei glücklich. Wie es wirklich in ihm aussah, das hatte er seit Ariettas Tod niemandem zeigen wollen. Doch nun war auf einmal wieder Licht in sein vor Trauer überschattetes Leben gekommen. Aber warum gerade jetzt? Wer oder was hatte den Ausschlag dafür gegeben?
Sofort kam ihm eine Person in den Sinn: Dr. Josie Street .
Schon seit Jahren hatte er sich keiner Frau mehr so nahe gefühlt. Pure, ungezügelte Lust war in ihm aufgestiegen und hatte ihn fast alles andere vergessen lassen – sogar Arietta. Diese schlagartige Erkenntnis hatte ihn mit Scham erfüllt, und dann war alles schiefgelaufen.
Als Josie daraufhin weggerannt war, war es ihm unmöglich gewesen, ihr zu folgen. Wie versteinert war er zurückgeblieben und hatte dann eine Reihe von Flüchen ausgestoßen. Warum war ihm ausgerechnet jetzt Ariettas Name über die Lippen gekommen? Bei anderen Frauen war ihm das noch nie passiert.
Vielleicht weil es sich mit Josie anders angefühlt hatte? Nach außen wirkte sie zwar kühl und unnahbar, aber tief in ihrem Inneren brannte
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