Julia Extra Band 372
gute Idee. Distanz! Er war der Chef, sie die Angestellte. Dazwischen gab es eine Grenze, die sie zu wahren beabsichtigte.
Er runzelte kaum merklich die Stirn. „Ist es Ihnen möglich, mir die neuesten Umsatzzahlen noch vor der Mittagspause vorzulegen, Ms Hall?“
„Gewiss, Mr Taylor.“ Sie zog sich hinter ihren Bildschirm zurück und hoffte, dahinter ihr Erröten verbergen zu können.
„Wie geht es dem Knie? Besser?“ Er trat um den Schreibtisch herum und machte so ihrem Versteckspiel ein Ende.
„Ja, es geht schon. Vielen Dank.“ Imogen blickte unverwandt auf den Bildschirm. Sie wollte kein persönliches Gespräch zulassen. Er war der Chef, sie nur eine kleine Angestellte.
„Schön, das zu hören.“ Seine freundlichen Worte rüttelten an ihrer Abwehr.
„Möchten Sie nur die aktuellen Zahlen oder auch die vom letzten Monat?“ Nur an Arbeit denken! Nur an Arbeit. Und sich nicht von dieser Stimme mit dem amerikanischen Akzent betören lassen! sagte sie sich.
„Nur von diesem Monat. Die anderen habe ich bereits.“
Damit wandte er sich endlich ab und verließ das Großraumbüro der Kaufhausverwaltung. Als er später zurückkam, blieb er an Shonas Schreibtisch und besprach sich mit ihr fast eine Stunde lang.
Lange vor der Mittagspause klopfte Imogen an den Rahmen seiner offen stehenden Bürotür. Er blickte von seiner Arbeit auf. „Schon fertig?“
„Ja.“ Sie sah ihn nicht an, sondern legte die Mappe mit dem Datenblatt ohne ein weiteres Wort auf seinen Schreibtisch. Dann ging sie hinaus.
„Vielen Dank.“ Sie spürte die Worte wie Kugeln in ihrem Rücken.
Kaum eine Stunde später trat er erneut an ihren Schreibtisch. „Der Bericht war ausgezeichnet. Keine einzige falsche Zahl.“ Er blinzelte ihr vergnügt zu. Ihre Verlegenheit schien ihn zu amüsieren.
„Können Sie mir eine weitere Zusammenstellung mit Projektionen für das nächste Vierteljahr machen?“
„Natürlich, Mr Taylor.“ Sie war entschlossen, ihm zu beweisen, dass sie jeden Penny ihres Gehaltes wert war. „Es gibt nichts, was ich nicht tun könnte.“
Er hielt inne und sah sie unverwandt an. Der Blick aus seinen leuchtend blauen Augen brannte wie Feuer auf ihrer Haut. „Ms Hall, Sie scheinen Herausforderungen zu lieben.“
Drei Tage später gratulierte Ryan sich dazu, bisher alles gut überstanden zu haben. Jeder Tag war eine große Anstrengung gewesen. Eigentlich hätte er sehr zufrieden sein müssen. Sein Einstieg bei Mackenzie Forrest verlief besser als erwartet. Das Weihnachtsgeschäft ließ die Kassen klingeln, die Bilanzen stimmten, und die Belegschaft schien ihn zu akzeptieren, wenn nicht sogar willkommen zu heißen. Alle bis auf eine. Die Gedanken an diese eine quälten ihn jede Minute. Er sah ein, dass es völlig unangebrachte Gedanken waren.
Dabei machte sie es ihm sogar leicht. Nichts war mehr zu sehen von verführerischen Rundungen unter grüner Seide, von langen Beinen in eng geschnittenen Hosen. In ihren formlosen Pullovern und den weit über die Knie reichenden Röcken wirkte sie nur noch hausbacken. Er konnte nicht verstehen, warum eine attraktive junge Frau sich kleidete wie eine alte Jungfer aus den fünfziger Jahren. Während die Kolleginnen in ihrem Büro vorweihnachtlich vergnügt waren, gab sie sich wie auf einer Beerdigung. Schwarz und Grau schienen ihre Lieblingsfarben zu sein. Eigentlich hätte ihn das abschrecken müssen, aber bei ihr sah er nur, wie das Grau die Blässe ihrer Haut betonte und das Grün ihrer Augen hervorhob.
Hinzu kam, dass ihn nicht nur ihr Äußeres anzog. Im Großraumbüro vor seinem Chefzimmer saßen sie und Shona am nächsten zu seiner Tür. So oft es ging, ließ er die Tür offen stehen, um ihre Stimme hören zu können. Die beiden so ungleichen Frauen schienen sich gut zu verstehen. Sie arbeiteten konzentriert an ihren Plätzen, doch immer wieder flogen scherzhafte Bemerkungen und trockene Kommentare hin und her. Mit den anderen Kolleginnen sprach sie nicht viel, aber mit ihrer älteren Mentorin schien sie dieselbe Art von Humor zu teilen. Er wünschte, sie würde auch mit ihm so lachen.
Außerdem war sie sehr gut in ihrem Job. Nachwuchs zwar noch, aber mit Potenzial nach weit oben. Er konnte verstehen, warum Mr Mac ihr Aufbaustudium unterstützt hatte. Sie kam früh und blieb lange. Stets konzentriert, immer gut vorbereitet. Bisher hatte sie recht behalten. Sie konnte alles, was er von ihr verlangte.
Nur hatte er noch nicht um das gebeten, was er wirklich von
Weitere Kostenlose Bücher