Julia Extra Band 372
Freund ihrer Mutter anrufen und sie irgendwohin einladen, und ehe man sich versah, war sie wieder weg. Grace kannte es schon.
„Sag mal, sollen wir nicht zusammen essen gehen?“, schlug Lydia vor.
„Tut mir leid, ich muss noch etwas erledigen. Vielleicht später.“
Das Lächeln verschwand aus Lydias Gesicht, und kurz wollte Grace sich entschuldigen und ihren Vorschlag annehmen. Doch sie unterließ es.
„Gut. Also, du hast meine Handynummer, oder?“, sagte Lydia.
„Ja, klar. Ich melde mich. Versprochen.“ Grace umarmte ihre Mutter zum Abschied und verließ die Apotheke. Erst am Auto fiel ihr auf, dass sie vergessen hatte, sich bei Rick Anderson nach J. C. zu erkundigen.
Im Wagen holte sie ihr Telefon heraus und ging das Adressbuch durch. Bei dem richtigen Namen verweilte sie einen Augenblick, dann drückte sie auf das Anrufsymbol.
„Hallo, dies ist die Mailbox von Hope McKinnon. Momentan bin ich leider …“, hier kicherte Hope, völlig untypisch für sie, und hob die Stimme, „ … beschäftigt. Ich rufe aber schnellstmöglich zurück.“
Grace konnte sich Hopes gelöste Stimme nicht erklären. Sie hatten länger keinen Kontakt, seit dem Streit, als Hope ihrer Schwester nicht bei dem Fidschi-Artikel geholfen hatte. Jenem Artikel, der so furchtbar in die Hose gegangen war, dass ihr Redakteur seither das Vertrauen in Grace verloren hatte. Und jetzt klang Hope so fröhlich wie ein kleines Kind.
„Hallo, hier ist Grace. Grandma meinte, du würdest nach Beckett’s Run kommen, und falls sie es dir nicht schon gesagt hat: Mutter ist hier. Mal sehen, wie lange noch. Vielleicht ist sie ja schon wieder weg, wenn du kommst. Na ja, ich wollte es dir nur sagen.“
Grace legte auf. Plötzlich kam ihr das Telefonat albern vor. Als hätte sie Hope vor dem Weltuntergang warnen müssen. Sie schenkte sich einen Anruf bei Faith und brach stattdessen auf in Richtung Park.
Beim Aussteigen musterte sie das Gelände. Die Vorbereitungen schienen nahezu abgeschlossen, überall glitzerte und glänzte es. Tannen waren geschmückt, und aus dem See hatte man eine spiegelglatte Eislaufbahn gemacht, auf der schon einige Schlittschuhläufer ihre Runden drehten.
„Übertrieben?“
Sie fuhr herum. Bei J. C.s Anblick fing ihr Herz an zu pochen. Sofort stieg in ihr wieder die Erinnerung an den leidenschaftlichen Kuss in der Mistelzweig-Bahn auf. Küsse unterm Mistelzweig. Die Hitze stieg ihr ins Gesicht. Er küsste unvergleichlich, und sie hätte sich nur zu gerne gleich noch einmal seinen Küssen hingegeben. Jetzt und hier.
„Wir haben Weihnachten“, sagte sie, um den Zauber zu brechen. „Laut Grandma kann man an Weihnachten gar nicht übertreiben.“
Er lachte. „Aber womöglich neigt man als Erwachsener zur Übertreibung, damit man sich noch einmal fühlt wie als Kind.“
„Ich fühle mich auch so noch lange nicht erwachsen.“
Er nahm ihr Kinn und drehte ihr Gesicht, bis sie seinem Blick nicht mehr ausweichen konnte. Seine Augen waren himmelblau. Augen, die eine Frau nie vergaß …
Er war in allem ihr Erster gewesen: ihr erster Freund als Kind, ihr erster richtiger Freund und ihr erster Mann.
Und schließlich war er auch der Erste gewesen, der ihr das Herz gebrochen hatte.
Daran sollte sie sich immer erinnern. Vor allem daran.
„Auch wenn du dich nicht so fühlst: Du bist erwachsen, Grace. Sehr sogar.“ Mit dem Daumen strich er ihr über die Unterlippe, langsam und sanft.
Schon hatte sie das mit dem gebrochenen Herzen wieder vergessen. Sie atmete tief ein. Noch hatte sie Zeit, sich von ihm zu lösen. Doch stattdessen genoss sie seine Berührung. „Das ist nur gespielt“, entgegnete sie ihm.
„Nein, das ist es nicht.“ Sein Blick glitt zu ihren einladend geöffneten Lippen. „Das wünschst du dir. Aber ich weiß, dass es das nicht ist.“
„Sondern?“
„Du willst der Wahrheit ausweichen.“
„Welcher Wahrheit?“
„Dieser …“ Er beugte sich zu ihr und küsste sie. Intensiv, fordernd. Ihr Widerstand schmolz dahin, und sie schmiegte sich an ihn, während sie seinen Kopf umfasst hielt. Es war wundervoll, überwältigend, so unvergesslich wie ihr erster Kuss.
Nach dem Kuss in dem dunklen Karussell und dem Kuss jetzt wusste sie, dass ihr Gedächtnis sie nicht getäuscht hatte. Oder doch, es hatte sie getäuscht: J. C.s Küsse waren noch viel unglaublicher als in ihrer Erinnerung.
Wenn er sie berührte, dann genau so, wie sie berührt werden wollte. Und wenn er sie küsste, dann genau so, wie
Weitere Kostenlose Bücher