Julia Extra Band 372
schlimmer.“
„Bei Ihnen zu Hause läuft es nicht gut?“
„Oh.“ Jill hatte mehr ausgeplaudert, als sie eigentlich wollte. „Na ja, wie ich schon sagte, im Moment sind meine Eltern beide etwas gestresst. Das ist alles.“
Hoffentlich, dachte sie bei sich. Sie blieb stehen. „Kommen Sie hier mit rein. Neben dem Röntgenraum haben wir ein gut ausgestattetes Behandlungszimmer. Dort sollte alles Nötige vorhanden sein, um Ihren Kopf wieder zusammenzuflicken.“ Sie lachte Jack an. „Ich werde Ihnen also den Gang durchs Wartezimmer und die Neugier der Einheimischen ersparen.“
„Ist wohl ein kleiner Ort, was?“
„Ja. Obwohl wir um diese Jahreszeit auch viele Fremde hier haben. Der hiesige Campingplatz ist sehr begehrt, und es wundert einen, wie viele Leute in ihrem Urlaub krank werden oder sich verletzen. Eigentlich ist das ziemlich unfair, oder? Ein Krankenhaus ist doch nun wirklich der letzte Ort, an dem man im Sommerurlaub sein möchte.“
Ein Krankenhaus war auch der letzte Ort, an dem Jack sein wollte.
Der Korridor hatte ihn nicht weiter gestört, da er so gar nicht der Krankenhaus-Umgebung entsprach, die er gewohnt war. Aber im Behandlungszimmer kam es ihm vor, als würden ihn die Wände erdrücken. Alles war so vertraut. All die medizinischen Utensilien und sogar der Geruch.
Jack legte sich auf die Liege und schloss mit einem leisen Stöhnen die Augen.
„Sie fühlen sich nicht sehr gut, oder?“
„Nicht besonders.“ Er biss die Zähne zusammen.
„Kopfschmerzen?“
„Geht so.“
„Übelkeit?“
„Nein.“
„Weshalb geht es Ihnen dann so schlecht?“
Es klang, als wäre es ihr wirklich wichtig, aber Jack wollte ihr Mitgefühl nicht. Er brauchte es nicht. Beinahe musste er lachen. Am liebsten hätte geantwortet: Weil ich so ausgebrannt bin, dass ich mich innerlich tot fühle. Ich habe nichts mehr zu geben. Also warum sollte ich erwarten, dass mir etwas gegeben wird?
Weihnachten, die Zeit des Schenkens.
Jack war mitten im Niemandsland und hatte einen Weihnachtsengel gefunden, der Wunder zu bewirken schien.
Jedenfalls dachte der unfein duftende Hund das. Ebenso wie vier traurige, kranke Kinder und die Sozialarbeiterin aus dem Süden. Es war verrückt, und Jack fühlte sich schlecht genug, dass ihm Jills gute Laune und ihre Uneigennützigkeit auf die Nerven gingen.
„Ich mag Weihnachten einfach nicht“, knurrte er schließlich unwillig.
„Ah!“ Sie lächelte. „Ein echter Miesepeter. Cool!“
Offenbar nahm sie ihn gar nicht ernst. Er hörte, wie sie alles zurechtlegte, was sie benötigte. Dabei summte sie ein Weihnachtslied vor sich hin. Schließlich wusch sie sich die Hände, ehe sie zu ihm kam. Noch immer die Augen geschlossen, nahm Jack ihre Wärme und einen zarten Duft nach Erdbeeren wahr. Er spürte die sanfte Berührung ihrer Hand, als Jill begann, ihm die Bandage abzuwickeln.
„Haben Sie Vorerkrankungen, die ich beachten sollte, Jack?“
„Nein.“ Außer vielleicht ein posttraumatisches Belastungssyndrom. Oder einfach nur eine gute alte, ganz gewöhnliche Depression.
„Nehmen Sie regelmäßig irgendwelche Medikamente?“
„Nein.“ Man hatte ihm welche angeboten, aber er hatte abgelehnt. Erst einmal wollte er sich eine Auszeit nehmen, ein halbes oder ganzes Jahr. Um auszuprobieren, ob er seinen Kopf allein wieder in Ordnung bringen konnte. Und sein Herz.
„Wann hatten Sie Ihre letzte Tetanusimpfung?“
„Vor etwa zehn Jahren.“ Damals, als er angefangen hatte, in einer Notaufnahme zu arbeiten.
Zu schade, dass es keinen Impfstoff dagegen gab, emotional zu sehr beteiligt zu sein. Zerstört zu werden. Innerlich abzusterben.
Natürlich hätte er weitermachen können. So wie sein Chef, für den Medizin nur ein Job war. Keine gefühlsmäßige Beteiligung. Keine Fürsorge. Also auch keine Probleme, wenn etwas schiefging, weil es eben Teil des Jobs war. Manche Fälle konnte man retten, andere nicht.
Doch für Jack war das schlicht unmöglich gewesen. Wenn er sich nicht persönlich auf seine Arbeit einlassen konnte, dann musste er raus. Für immer.
Im Augenblick schien es ihm, als könnte er sich nie wieder auf irgendeiner Ebene auf etwas einlassen. Es war einfach nichts mehr übrig. Nur eine große Leere.
Als Jill seine Wunde säuberte, sog er hörbar die Luft ein. Doch eigentlich war ihm der scharfe Schmerz willkommen, weil er dadurch merkte, dass er lebendig war.
„Tut mir leid“, sagte sie. „Ich gebe Ihnen jetzt eine örtliche Betäubung. Das wird
Weitere Kostenlose Bücher