Julia Extra Band 373
ihren Augen. Ihr Lächeln wirkte schwach, sie ließ die Schultern sinken. Er wollte sie mit nach Hause nehmen – nicht in sein Apartment, sondern nach Whistle Creek. Denn dort hatte er sie zum letzten Mal richtig lachen gehört. Verdammt, dort hatte er selbst zum letzten Mal richtig gelacht.
Wie kam es, dass Whistle Creek für ihn noch immer „Zuhause“ war und er trotzdem so selten hinfuhr? Er hatte sich allein auf seine Karriere konzentriert und zugelassen, dass das Städtchen in die abgeschlossene Vergangenheit gerückt war.
Bis jetzt.
Er sah die Frau an, deren Hand er noch immer hielt, und er hatte seine Antwort. Ohne Marietta war Whistle Creek kein Zuhause. Am liebsten würde er sie jetzt mit sich nach Hause nehmen, sie in eine von den dicken Decken seiner Großmutter einwickeln, den Kamin anzünden und sie bei sich behalten, bis sie mindestens drei Nächte Schlaf nachgeholt hatte. Er wollte sich um sie kümmern. Im Moment sah sie wirklich aus, als hätte sie jemanden, der sich um sie kümmerte, bitter nötig.
Eigentlich hatte sie den immer nötig gehabt. Nur hatte Marietta es perfektioniert, sich den Anschein zu geben, als wäre alles in bester Ordnung. Selbst wenn alles um sie herum zusammenfiel.
„Hier geht es um meinen Job, Reed, ich muss sie zurückrufen.“ Marietta zog ihre Hand zurück und wählte die Nummer. Keine Sekunde später war sie mit jemandem verbunden, dessen hysterische Stimme so laut durch die Muschel drang, dass sogar Reed es hören konnte. „Es wird schon klappen, Penny. Der Schneesturm wird sich sicher bald legen. Beruhigen Sie sich. Ich melde mich sofort, wenn die Flüge freigegeben werden.“ Sie beendete den Anruf, atmete tief durch. „Penelope kann manchmal ziemlich …“
„… anstrengend sein?“ Reed lachte leise. „Ich bin allein vom Zuhören erschöpft. Wie bist du an eine solche Kundin gekommen?“
„Penelope moderierte eine Brautkleidershow in Chicago, als Teil einer Werbekampagne für eine romantische Komödie, in der sie eine Nebenrolle hatte. Damals war sie noch kein Star und mein Laden steckte in den Anfängen. Sie verliebte sich in eines meiner Kleider, als sie an meinen Stand kam, und wir unterhielten uns länger. Ihr nächster Film machte sie zum Star. Das People hat dann die Story zu ihrer Heirat mit Brock Wayne groß herausgebracht und dabei ein Foto meines Kleides abgebildet.“ Sie zuckte leicht die Schultern. „Der Rest ist Geschichte … und eine wilde Achterbahnfahrt.“
„Ist sie immer so anspruchsvoll?“
Marietta lachte. „Oh, meist ist sie gelassener, dann ruft sie mich nur vierzigmal am Tag an. Fünfzehnmal war ich bei ihr in L. A. wegen der Anprobe, dann in zehn verschiedenen Städten für unzählige Änderungen und Anproben. Zweiundfünfzigmal hat sie ihre Meinung geändert, und gerade diese Woche wurde die Hochzeit aus Publicitygründen vorverlegt. Aber es ist die Sache wert. Sie zahlt ein kleines Vermögen für das Kleid, und ihretwegen ist mein Laden jetzt in aller Munde. Ich ersticke in Aufträgen.“
„Das wolltest du doch immer, oder?“
„Ja, genau.“
Ihre Antwort kam zu schnell, zu heftig. Er musterte sie, fragte sich, wie glücklich sie sein konnte, wenn sie quer durchs Land jettete, statt in Ruhe Weihnachten zu feiern.
Ihr Gesicht war in seine Erinnerung – und in sein Herz – eingebrannt, so als wäre Marietta ein Teil von ihm. War es da verwunderlich, dass er nie geheiratet hatte? Dass er keine Frau auch nur annähernd so geliebt hatte wie Marietta?
Was, wenn sie gar nicht so zufrieden war, wie sie behauptete?
Was, wenn es noch eine Chance für sie beide gab?
Was, wenn …
Er würde dieses zufällige Treffen nutzen, um es herauszufinden. Denn wenn er es nicht tat, würde er sich den Rest seines Lebens mit dieser Frage herumschlagen müssen: Was wäre, wenn?
„Komm, ich habe eine Idee.“
„Was meinst du?“
„Du hast gesagt, du wirst es nicht schaffen, Weihnachten zu feiern. Dann lass uns hier feiern. Zusammen. Du und ich.“
„Bist du verrückt? Weihnachten feiert man doch nicht auf einem Flughafen. Ich meine, sieh dich nur um.“ Mit einer Geste schloss sie all die mürrischen, müden Passagiere ein, die grauen Wände, die blauen Plastiksitze. „Das ist deprimierend.“ Von feierlicher Weihnachtsstimmung hätte es nicht weiter entfernt sein können. „Nein, ich werde mir ein Buch besorgen, mich irgendwo hinhocken und darauf warten, dass es aufhört zu schneien.“
„Gerade weil es deprimierend
Weitere Kostenlose Bücher